Mathematischer Ort des Monats Oktober 2020
Tafeln für Giordano Bruno, Joachim von Lauchen, Kaspar Peuker und Johann Daniel Titius in der Lutherstadt Wittenberg
von Wolfgang Volk
 
Tafel fuer Joachim von Lauchen und andere
Tafel neben dem Portal zur Leucorea
 
Die Universität Leucorea zu Wittenberg wurde 1502 vom sächsischen Kurfürsten Friedrich III. von Sachsen – auch Friedrich der Weise genannt – gegründet. Dabei leitet sich der Name Leucorea aus den griechischen1) Worten λευκός (≙ weiß [im niederdeutschschen Dialekt: witt2)]) und όρος (≙ Berg) ab. In der Folge wurde in den Jahren 1503-04 der erste Universitätszweckbau, das Collegium Friedricianum errichtet, an dessen nordwestlicher Ecke, gleich links neben dem Portal, die oben abgebildete Tafel angebracht ist.
Im Jahr 1512 wurde Martin Luther (1483-1546) Professor für Theologie an der Leucorea; fünf Jahre später, am 31. Oktober 1517, wurde mit seinem Anschlag der 95 Thesen an der Tür der Schlosskirche die Reformation eingeleitet. Im darauffolgenden Jahr, 1518, wurde Philipp Schwartzerdt – besser bekannt unter dem Namen Philipp Melanchthon (1497-1560) – für das Fach „Griechische Sprache“ berufen. In diesem Fall ist der Name nicht – wie üblich – latinisiert, sondern der griechischen Sprache entlehnt: μελάς μελάν (je nach Geschlecht, ≙ schwarz, dunkel) und χθών (≙ Erde, Erdboden).
Anfangs bestand die Leucorea lediglich aus der theologischen, der juristischen und der philosophischen (manchmal auch artistische genannt)3) Fakultät. Wenige Jahre nach der Gründung kam noch die medizinische Fakultät hinzu.
Aber erst im Jahr 1514 wurde durch Fakultätsbeschluss das Fach Mathematik als eigenständiges Lehrfach an der Leucorea eingeführt. Erster Lehrer war Bonifazius Erasmi (de Rode, um 1480-1560) (siehe auch [2]). Ihm folgte im Jahr 1518 Johannes Volmar (?-1536).
Im Jahr 1521 wurde die Leucorea reorganisiert, was insbesondere für die philosophische Fakultät zu zahlreichen Änderungen führte. Auf Anregung von Philipp Melanchthon wurde schließlich im Jahr 1525 ein zweiter Lehrstuhl für Mathematik eingerichtet. Das Ordinariat für niedere Mathematik wurde mit Johannes Gusebel, genannt Longicampianus (?-1529) neu besetzt während J. Volmar den Lehrstuhl für höhere Mathematik bis zu seinem Ableben innehatte.
Portal
das Portal zur Leucorea, links auf etwa halber Höhe die ganz oben wiedergegebene Tafel
 
Auf der ganz oben wiedergegebenen Tafel ist unter anderem der Eintrag Prof. Joachim von Lauchen (1514-1574) genannt Rhaeticus zu lesen. Dies macht diese Tafel zu einem mathematischen Ort.
Nach drei Studienjahren in Zürich, von 1528 bis 1531, studierte Georg Joachim von Lauchen ab 1533 an der philosophischen Fakultät der Leucorea, schloss 1536 sein Studium mit dem akademischen Grad des Magisters ab und wurde mit Unterstützung von P. Melanchthon 1537 dort zum Professor auf den Lehrstuhl für niedere Mathematik berufen. Allerdings war G. J. von Lauchen, der sich inzwischen auch Rhaeticus4) nannte, in den Folgejahren viel auf Reisen. Unter anderem weilte er bei Nikolaus Kopernikus (1473-1543) in Frauenburg (heute: Frombork in Polen), um diesen davon zu überzeugen, sein Werk De revolutionibus orbium coelestium fertigzustellen und in Druck zu geben. Letzteres hat dann G. J. von Lauchen selbst in Nürnberg beim Drucker Johannes Petreius veranlasst.
Desweiteren ist auch noch der Name Giordano Bruno (1548-1600) auf der Tafel angegeben. G. Bruno kam im Sommer 1586 nach Wittenberg und erhielt als Extraordinarius an der philosophischen Fakultät das Recht, Vorträge zu halten, die teilweise auch mathematische Inhalte besaßen und die Logik behandelten. In seinem späteren Leben – nämlich im Jahr 1592 – war G. Bruno Mitbewerber auf eine Professur für Mathematik an der Universität in Padua auf die dann allerdings Galileo Galilei berufen wurde. Im März 1588 verließ G. Bruno Wittenberg nachdem sich zwischen den Vertretern verschiedenen Glaubensrichtungen der reformierten Kirche Streitigkeiten ausbrachen. Betrachtet man den Lebensweg G. Brunos, so ist nicht auszuschließen, dass er sich an den Auseinandersetzungen beteiligte.
Auf der ganz oben wiedergegebenen Tafel sind auf der linken Seite Lehrer und auf der rechten Seite Studenten benannt – das alles ist überschrieben mit „Wittenberger Universität 1502 – 1817“.
Als Lehrende sind
genannt, als Studenten
aufgeführt.
Unter dieser Tafel befindet sich noch eine Informationstafel, die zu einem Rundweg gehört, der die Sehenswürdigkeiten der Lutherstadt Wittenberg miteinander verbindet. (Durch zweimaliges Anklicken des folgenden Bildes wird der Text der Informationstafel lesbar angezeigt.)
Infotafel zum Fridericianum
moderne Informationstafel zur Leucorea
 
Durchschreitet man das Portal und folgt dem Weg zwischen den beiden Gebäuden, so gelangt man zu einem Geviert, das allerdings heute sehr gefälliger ausschaut, als auf der zuvor wiedergegebenen Informationstafel. Insbesondere ist das Gebäude – auf dem Bild rechter Hand mit zahlreichen emaillierten Metalltafeln ausgestaltet, die auf Persönlichkeiten verweisen, die an dieser Stätte – in diesem Fall der Universität Leucorea – gewirkt haben.
Aus mathematischer Sicht sind drei Tafeln interessant, die sogar unmittelbar nebeneinander angebracht sind. Diese werden nachstehend wiedergegeben und erläutert. (Derartige Tafeln findet man vielfach im gesamten Stadtgebiet der Altstadt Wittenbergs, auch etliche mit mathematischem Bezug.)
Tafel fuer Johann Daniel Titius
Tafel zu Johann Daniel Titius
 
Johann Daniel Titius (1729-1796) studierte (nach dem Besuch des Gymnasiums in Danzig) in Leipzig, wo er 1752 den akademischen Grad des Magisters erwarb. Ab 1756 hatte er den Lehrstuhl für niedere Mathematik an der Leucorea inne und übernahm ab 1761 die öffentlichen Vorlesungen über Physik. Zeitweise war er auch Rektor der Universität. Sein Name ist aber fest mit der sogenannten Titius-Bodeschen Reihe verbunden, wobei darauf hinweisen sei, dass die Gesetzmäßigkeit bezügöich der Abstände der (damals bekannten) Planeten von J. D. Titius entdeckt während Johann Elert Bode (1747-1826) dafür sorgte, dass diese Entdeckung auch publiziert wurde.
Tafel fuer Kaspar Peuker
Tafel zu Kaspar Peuker
 
Kaspar Peuker (1525-1602) kam 1540 nach Wittenberg, wo er im Hause P. Melanchthons Aufnahme fand und zunächst die vorbereitende Schule fürs Studium besuchte. Vom Frühjahr 1543 bis zum Herbst 1545 studierte er an der philosophischen Fakultät die sieben freien Künste und schloss dieses Studium mit dem Grad des Magisters ab. Seine Lehrer waren unter anderem Erasmus Reinhold (1511-1553) und G. J. von Lauchen. Anschließend widmete er sich medizinischen Studien unter anderem auch in Frankfurt (Oder). 1548 kehrte er nach Wittenberg zurück und wurde in den Senat der philosophischen Fakultät aufgenommen. 1550 heiratete er P. Melanchthons Tochter Magdalena und erwarb 1552 das Lizenziat der Medizin. Weitere zwei Jahre später erhielt er die Professur für höhere Mathematik. Das Amt hatte er wohl bis 1560 inne, denn Anfang dieses Jahres promovierte er in Medizin, wurde für dieses Fach auch zum Professor ernannt und zum Sommersemester zum Rektor der Leucorea gewählt. Seit 1570 war er Leibarzt am sächsischen Hof und später auch am anhaltinischen. Zwischenzeitlich verbrachte er zwölf Jahre wegen einer Glaubensfrage in Haft.
Tafel fuer Giordano Bruno
Tafel zu Giordano Bruno
 
Bekanntermaßen endete G. Brunos unstetes Leben im Jahr 1600 in Rom auf dem Scheiterhaufen. An diesem Ort steht heute ein Denkmal, das ihn würdigt. Er war seinerzeit wegen Ketzerei angeklagt. 400 Jahre später, am 12. März 2000, erklärte Papst Johannes Paul II., dass die Hinrichtung G. Brunos auch aus kirchlicher Sicht als Unrecht zu betrachten sei. Eine vollständige Rehabilitierung bedeutete dieser Schritt aber noch nicht.
Denkmal fuer Giordano bruno in Rom
Denkmal für Giordano Bruno auf dem Campo dei Fiori in Rom
 
(Die vorstehende Aufnahme ist unter recht ungünstigen Bedingungen entstanden – auf dem Platz Campo de' Fiori war gerade Wochenmarkt.) Das Denkmal wurde von Ettore Ferrari geschaffen. Die Inschrift auf der Frontseite des Sockels lässt sich gemäß [3] wie folgt ins Deutsche sinngemäß übertragen:
9. Juni 1889
Für Bruno
Das Jahrhundert, das seine zukunftsweisenden Ideen als richtig erkannte, errichtete ihm hier, wo der Scheiterhaufen gebrannt hat, dieses Standbild.
(Das ist offenbar sehr viel deutscher Text für die eher kurz gefasste Inschrift in italienischer Sprache.)
 

Referenzen

[1]   Institut für Mathematik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg: Kurzer Abriss zur Geschichte der Mathematik an der Leucorea
[2]   Institut für Mathematik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg: Bonifacius Erasmi (de Rode) (um 1480-1560)
[3]   Arno Langkavel: Auf Suprensuche in Europa – Denkmäler, Gedenktafeln und Gräber bekannter und unbekannter Astronomen, Acta Historica Astronomiae Bd. 29, Verlag Harri Deutsch, Frankfurt am Main, 2006, ISBN 978-3-8171-1791-8
[4]   Leucorea – Stiftung des öffentlichen Rechts an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg: Geschichte der LEUCOREA
[5]   Kurt Meyer: Johann Gusebel, genannt Longicampianus – Ausgewählte Kapitel
 

Bildnachweis

Tafeln   Wolfgang Volk, Berlin, Juni 2020
Denkmal   Wolfgang Volk, Berlin, Mai 2016
 

1) Die beiden Worte gibt es sowohl in der alt- wie der neugriechischen Sprache mit identischer Bedeutung.
2) siehe im Wikiwörterbuch Wiktionary weiß und als Hauptwort im Niedersächsischen WeißWitt und Witte
3) An der philosophischen/artistischen Fakultät konnten die sogenannten sieben freien Künste bestehend aus dem Trivium (Grammatik, Rhetorik und Dialektik bzw. Logik) und den mathematischen Fächern des Quadriviums (Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie) studiert werden. Im Mittelalter und auch noch später galt ein Studium der sieben freien Künste als Voraussetzung für ein Studium der Theologie, der Jurisprudenz oder der Medizin.
4) nach der römischen Provinz Raetia, in dessen Gebiet seine Geburtsstadt Feldkirch (heute im österreichischen Bundesland Vorarlberg) liegt