Mathematik Abiturvorbereitung Analysis

Daniel Jung, Carlo Oberkönig und Daniel Weiner
 
Mathematik Abiturvorbereitung Analysis

Beschreibung

von Sabine Wuttke
Das Buch Analysis ist ein Teilband von drei Büchern plus einer Aufgabensammlung zum Selbststudium zur Abiturvorbereitung. Diese Lernskripte entstanden als Ergänzung zum Kursangebot der StudyHelp Academy Gütersloh, deren Mitbegründer der namensgebende Autor Daniel Jung ist. Hinter diesen Büchern steht der Anspruch das Bildungssystem zu revolutionieren. Sie haben direkt und indirekt Einzug in Schulen gehalten, ohne offiziell empfohlen zu sein.
Daniel Jung ist Jahrgang 1981 und hat Mathematik und Sport fürs Lehramt studiert. Schon während seines Studiums hat er ein regionales Nachhilfeunternehmen gegründet und das Medium „YouTube“ in sein Bildungsangebot integriert. Heute leitet er die im Bildungswesen vielfältig aktive VisionsFirst GmbH. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) bezeichnet ihn als einen der erfolgreichsten YouTuber im Bildungssektor und betitelt ihn als Rockstar der Mathematik.
Rein optisch ist beim ersten Griff ins Buch auffällig, dass es sehr schlicht gestaltet ist. Bis auf den Umschlag ist es nur in Schwarzweiß gedruckt – mit maximal zwei Grauabstufungen. Es enthält keine farbigen Bilder.
Das einfache Layout trägt ebenso gut zum inhaltlichen Verständnis bei: Formeln, ergänzt durch graphische Darstellungen, QR-Codes zu 2500 Tutorials und einfache Beispiele.
Das Buch ist nicht als Schulbuch gedacht, bei dem der Stoff sukzessive erarbeitet und erforscht wird, sondern mehr als Übersicht von schon erarbeitetem Stoff im Hinblick auf das Abitur. Im Inhaltsverzeichnis finden sich die meisten Inhalte des Berliner Rahmenplans für Grund- und Leistungskurse wieder und noch einige darüber hinaus. Es fehlen aber z. B. Wurzel- und Logarithmusfunktionen. Da Buch vermittelt den Eindruck einer Formelsammlung mit Kochrezepten für die Vorgehensweise beim Lösen von Aufgaben.
Überleitungen sind im Erzählstil kommentiert. Die Sprache erinnert auch ein wenig an einen Fremdenführer, der sein Publikum auf Besonderheiten im Stadtbild aufmerksam macht: gucke, betrachte, sieh, erkenne, schaue, … Dabei scheut der Autor z. B. auf Seite 9 auch nicht vor eigenen Wortkreationen zurück, solange sie sachdienlich erscheinen: „Manipulation von Grundfunktionen“ anstelle von Graphentransformation.
Die Kettenregel erscheint auf Seite 25 in der speziellen Schreibweise: (eetwas)‘ = eetwas·(etwas)‘. Auf die Bezeichnungen äußere und innere Ableitung wird bewusst verzichtet.
Zu einem Term wird auf Seite 12 ein nicht sachgerechter Kommentar gegeben: „Die Normalparabel f(x) = x2 hat den Faktor c = 1. Diesen schreiben wir aus Gründen der mathematischen Faulheit aber nicht hin …“.
Formeln fallen scheinbar zum Teil vom Himmel und werden nicht hergeleitet, wie beim Schnittwinkel zwischen Geraden auf Seite 75.
Der Autor spricht die Schüler direkt an: „Zur Bestimmung von x gibt es einige Standards, die ihr beherrschen solltet.“ (auf Seite 17), „Das Vorgehen sollte noch aus der Divisionsrechnung in der Grundschule bekannt sein!“ (auf Seite 19) und „Merkt euch: …“ (auf Seite 30). Man hat das Gefühl, der Autor befindet sich als Lehrer im Raum und hält ein Zwiegespräch mit den Schülern. Der Lehrer gibt weise Ratschläge. Es wird auf der Beziehungsebene kommuniziert. Bei Formeln wird auf besondere Hinweise zu Feinheiten bewusst verzichtet. Bei der Quotientenregel gibt es z. B. keinen Hinweis, dass der Nenner ungleich 0 sein muss.
Hat man das Buch durchgelesen, ist jedoch nur das halbe Pensum erledigt. Es gibt noch etwa 110 QR-Codes. Die assoziierten Erklärsequenzen sind maximal 5 Minuten lang. Als einziges Präsentationsmedium dient ein Whiteboard. Laut Selbstinformation soll es über 200 000 000 Views für deutschsprachige Mathevideos des Autors auf der Plattform YouTube geben.
Auch hier besticht die Schlichtheit. Daniel Jung steht neutral gekleidet vor einem Whiteboard. Nur sein Oberkörper mit Arm ist im Bild, welches die Hälfte des Ausschnitts einnimmt. Die Szenen beginnen mit einem kleinen schon vorher beschriebenen Teil des Whiteboards. Daraus wird das Thema erarbeitet. Es wird nur ein schwarzer Stift benutzt und auch kein Lineal verwendet. Zum Teil wird chronologisch aufgeschrieben, aber manchmal auch während der Erläuterungen gesprungen. Das Tafelbild erscheint auf dem Display eines Smartphones recht klein. Die Erläuterungen sind leicht verständlich und werden in ähnlicher Sprache gehalten wie das Buch. Wem es zu schnell geht, hat die Chance sich eine Sequenz mehrfach anzuhören. Filme dieser Art sind in der Form sehr schnell zu produzieren und erfordern keinen großen technischen Aufwand. Sie erinnern an den Unterricht aus dem Stegreif vergangener Zeiten und stehen in krassem Gegensatz zu mühevoll ausgefeilten Tafelbildern fürs Smartboard. Die Qualität des Tafelbildes in seiner Vorbildfunktion für Schüler ist meines Erachtens verbesserungswürdig. Zu dieser „Filmkritik“ ist anzumerken, dass nur eine exemplarisch Auswahl die Grundlage bildet, da bei 110 QR-Codes rund 10 Stunden für das Betrachten aller Videos benötigt würden.
Jetzt möchte ich zur Anfangsthese zurückkommen und stelle die Fragen: Haben die Bücher das Bildungssystem revolutioniert und ist dies überhaupt wünschenswert? Ist es sachdienlich für die Mathematik?
Sicherlich haben diese Bücher in den Schulunterricht direkt und indirekt Einzug gehalten. Auch andere Verlage wie z. B. Klett geben Bücher mit QR Codes zu Erklärvideos heraus. Lehrer erstellen Arbeitsbögen mit QR-Codes und produzieren auch Lehrfilme selbst. Viele Schüler unterliegen der PR-Strategie und kaufen sich die Bücher von StudyHelp. Inwieweit sie sich dann mit den Inhalten genauer auseinandersetzen, sei infrage gestellt. Es wird dem Schüler alles sehr leicht gemacht. Eigene Aufzeichnungen sind scheinbar nicht nötig. Alles ist jederzeit abrufbar. Man braucht sich auch nur 5 Minuten zu konzentrieren.
Hier stelle ich die kritische Frage, ob die Schüler nicht auf eine Mogelpackung hereinfallen. Kann man so Mathematik betreiben? Oder rechtfertigt die Vorgehensweise, dass sich viele Schüler kurzfristig motivieren lassen. Besser so, als überhaupt nicht!
In einem Interview der NEWS sagt Daniel Jung unter anderem selbst: „Mathematik ist die Lehre von Strukturen und Mustern.“ Aber können Schüler mit dieser Arbeitsweise überhaupt Strukturen und Muster aufbauen? Werden sie nicht entmündigt im aktiven forschenden Handeln? Sein unangezweifelter Erfolg sei ihm gegönnt. Die Nachhaltigkeit muss sich noch erweisen. Das Bildungssystem muss sich den neuen digitalen Medien ohne Zweifel stellen. Was durch die Corona-Pandemie auch forciert wurde. Man sollte einem neuen Medium gegenüber aufgeschlossen sein, es aber nicht als Allheilmittel für mathematische Probleme hochstilisieren, die ganz andere Ursachen haben. Die Erfahrung der letzten 45 Jahre seit Einführung des Taschenrechners mündete vor kurzem auch in die OHIMI-Aufgaben des Abiturs (OHIMI steht für: ohne Hilfsmittel). Der Taschenrechner wird wieder ganz bewusst teilweise aus dem Unterricht verbannt, damit die Schüler mehr Raum zur Erarbeitung des Gefühls für Zahlen erhalten.
Jede Zeit hat ihre technischen Fortschritte, denen man sich stellen sollte, die aber nicht als Allheilmittel gegen Miseren gesehen werden dürfen. Wo des Pudels Kern ist, wird die Zeit zeigen. Jedem, der noch keine Erfahrung mit Erklärfilmen gemacht hat, sei dieses Buch auf jeden Fall empfohlen, nicht nur Schülern.
 

Bibliografische Daten

Autoren:Daniel Jung, Carlo Oberkönig und Daniel Weiner
Titel:Mathematik Abiturvorbereitung Analysis
Verlag:StudyHelp
ISBN:978-3-947-50600-2
Preis:9,99 €