Mathematiker des Monats Januar 2015
Joseph Louis Lagrange (1736-1813)
Man hat ihn zu Recht einen Europäer aus Turin genannt: Giuseppe Lodovico Lagrangia
wurde am 25. Januar 1736 in Turin als ältestes von elf Kindern seiner Eltern
Giuseppe Francesco Lodovico Lagrangia und Teresa Grosso geboren. Sein französischer
Urgroßvater, ein Kavalleriekapitän, war aus französischen Diensten
in die des Herzogs Karl Emanuel II. von Savoyen getreten und hatte eine Conti geheiratet.
Seit seiner Jugend unterzeichnete sein Urenkel mit LaGrange, Lagrange oder De la Grange.
Sein Vater, Schatzmeister des Amtes für öffentliche Arbeiten und Befestigungen
in Turin, hatte durch finanzielle Spekulationen viel Geld verloren, so dass die Familie
in bescheidenen Verhältnissen lebte.
Auf Wunsch des Vaters begann Lagrange mit vierzehn Jahren, an der Universität Turin
Jura zu studieren. Seine Lehrer in Geometrie,
Filippo Antonio Revelli, und in
Experimentalphysik,
Giovambattista Beccaria,
weckten jedoch sein Interesse an der Mathematik. Im Selbststudium arbeitete er sich
insbesondere in die Werke von
Christian Wolff,
Maria Gaetana Agnesi,
Leonhard Euler und
Giulio Carlo Fagnano
ein. Mit achtzehn Jahren veröffentlichte er sein erstes Werk, einen Brief an Fagnano,
das freilich, wie er bald feststellen musste bereits bekannte Ergebnisse vorbrachte.
Eulers Variationsrechnung, die sich noch geometrischer Methoden bediente, veranlasste Lagrange,
seinen rein analytischen Variationskalkül mit dem bekannten δ-Symbol auszuarbeiten,
worüber er im August 1755 Euler unterrichtete. Euler war sofort davon sehr angetan und
anerkannte die Überlegenheit von Lagranges Kalkül. Es war der Beginn eines
umfangreichen Briefwechsels. Gegenüber
Jean-Baptiste
le Rond d'Alembert, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband, erklärte
Lagrange 1769 diese Leistung zu seiner besten mathematischen Arbeit. In Turin brachte dies 1755
dem erst neunzehnjährigen Autor eine Mathematikprofessur an der Königlichen
Artillerieschule ein. Im Jahr darauf wurde er - zwanzigjährig - zum
auswärtigen Mitglied der
Berliner
Akademie der Wissenschaften gewählt. 1757 gründete Lagrange mit dem Arzt
Giovanni Francesco Cigna
und dem Chemiker
Giuseppe Angelo Saluzzo
eine zunächst private Gelehrtengesellschaft, die 1783 zur bis heute bestehenden
Königlichen Akademie der Wissenschaften wurde
(siehe den geschichtlichen Abriss),
zu einem Zeitpunkt, als Lagrange seit langem Turin verlassen hatte.
Denn Euler hatte 1766 im Unfrieden mit dem preußischen König Friedrich II. Berlin in Richtung
St. Petersburg verlassen. Auf den Rat von d'Alembert lud der König Lagrange ein, Eulers Nachfolger
und damit Direktor der mathematischen Klasse in Berlin zu werden. Lagrange sagte zu. Der König schrieb
daraufhin - wenig taktvoll - an d'Alembert, er habe einen einäugigen Geometer durch einen
Geometer ersetzt, der seine beiden Augen habe.
Frei von allen Unterrichtsverpflichtungen, denen er ausdrücklich seine Forschungen vorzog, verlebte
Lagrange die einundzwanzig folgenden Jahre in Berlin als die mathematisch fruchtbarsten seines Lebens,
davon 1774 bis 1782 im
Magnus-Haus, Am Kupfergraben 7 in Berlin Mitte,
dem heutigen Sitz der
Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Nach dem Tod seiner
Frau 1783, seines Freundes d'Alembert im gleichen Jahr und dem des Königs 1786 fasste er den Entschluss,
Berlin zu verlassen, zumal ihm die Reorganisation der Berliner Akademie mit der Geringschätzung des
Französischen antipathisch war. Seine Wahl fiel auf Paris. Sein Platz in Berlin blieb unbesetzt.
Er erhielt von dort bis an sein Lebensende eine Pension in Höhe von 300 Reichstalern.
1787 traf er in Paris ein. Kurz darauf brach die französische Revolution aus. Anders als seine Freunde
Marie Jean
Antoine Nicolas Caritat, Marquis de Condorcet und
Antoine Laurent de Lavoisier
überlebte Lagrange diese Zeit, wurde 1790 Mitglied der
Kommission
für Gewichte und Maße, unterrichtete an der École Normale Supérieure und der
École Polytechnique und verfasste einschlägige Lehrbücher. Napoleon ehrte ihn.
Er wurde Offizier der Ehrenlegion und Graf des Kaiserreichs. Am 10. April 1813 starb er und wurde im Pantheon
beigesetzt. Sein Name wurde auf dem Eiffelturm verewigt.
Lagrange hat entscheidende Beiträge zur Variationsrechnung, zu deren Anwendung auf die Mechanik,
zur Himmelsmechanik (Dreikörperproblem, Lagrange'sche Punkte), zum Differential- und Integralkalkül
geleistet. In Berlin konzentrierte er sich auf Astronomie und Himmelsmechanik, wobei er Euler'sche Gedanken
aufgriff, verallgemeinerte und vereinfachte, auf die numerische und algebraische Lösung algebraischer
Gleichungen und auf Zahlentheorie. Auch sein Meisterwerk, die Mécanique analytique, wurde noch in
Berlin geschrieben. Es erschien 1788 in Paris und machte ihn zum Begründer der analytischen Mechanik.
Referenzen
[1] | Accademia delle Scienze di Torino (Hrsg.): Lagrange - Un Europeo a Torino, Torino 2013 (mit Forschungsbibliographie von L. Pepe) | |
[2] | Maria Teresa Borgato und Luigi Pepe: Lagrange, appunti per una biografia scientifica, Torino, La Rosa, 1990, X+203 S., ISBN 88-7219-001-0 | |
[3] | Jean Baptiste Joseph Delambre: Notice sur la vie et les ouvrages de M. le Comte, J. L. Lagrange, in: Œuvres de Lagrange, vol. I, Paris 1867, S. VIII-LI | |
[4] | Joseph Louis Lagrange: Œuvres, hrsg. von J. A. Serret und G. Darboux, 14 Bände, Paris 1867 - 1892 |
Bildnachweis
Porträt | Lizenziert unter Public domain über Wikimedia Commons, Porträt | |
Gedenktafel | Hans-Jürgen Caspar, Henstedt-Ulzburg (vergleiche auch Gedenktafel für Joseph Louis Lagrange in Turin) | |
Pantheon | Wolfgang Volk, Berlin |