Nachruf
Herbert Gajewski (1939 - 2019)
von
Joachim Rehberg
Nachstehend wird ein Nachruf für Herbert Gajewski wiedergegeben, der seinerzeit
auf der Homepage des Weierstraß-Instituts für Angewandte Analysis und Stochastik
publiziert wurde
(mit freundlicher Genehmigung des WIAS):
Das Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik trauert um seinen ehemaligen
kommissarischen und stellvertretenden Direktor, Forschungsgruppenleiter und Kollegen,
Professor Dr. Herbert Gajewski, der am 11. Dezember 2019 plötzlich und unerwartet verstorben ist.
Wir nehmen Abschied von einem großartigen Menschen und herausragenden Wissenschaftler,
der durch die verschiedenen Entwicklungsphasen unseres Instituts immer wieder Großes geleistet
und wichtige Forschungslinien vorgegeben hat.
Herbert Gajewski wurde am 13. Juli 1939 als Sohn eines Handwerkers geboren.
Nach dem Abitur studierte er an der Humboldt-Universität zu Berlin Mathematik,
insbesondere bei Professor
Arno Langenbach,
welcher dort bereits moderne funktionalanalytische Methoden zur Untersuchung angewandter Probleme
entwickelte. Nach seinem Diplom 1962 ging Herbert Gajewski an das Institut für Mathematik und Mechanik
der Akademie der Wissenschaften der DDR.
Kennzeichnend für ihn war lebenslang einerseits das hohe theoretische Niveau seiner Forschung
sowie andererseits der Anspruch, angewandte Probleme zu lösen, welche zu realem Fortschritt
in Technologie und Technik führten. So wurde Herbert Gajewski 1966 bei
Kurt Schröder
mit einer Arbeit zum Thema „Konstruktive Näherungsverfahren in der nichtlinearen
Elastizitäts- und Plastizitätstheorie“ promoviert und habilitierte sich mit
einer Arbeit über „Direkte Methoden zur Lösung nichtlinearer Variationsaufgaben
und ihre Anwendung auf Probleme der Plastizitätstheorie“.
Die theoretischen Grundlagen dieser Forschungen kulminierten 1974 in der gemeinsam mit
Konrad Gröger und Klaus Zacharias
verfassten Monographie „Nichtlineare Operatorgleichungen und Operatordifferentialgleichungen“,
welche bis heute ein vielzitiertes Standardwerk ist.
Auf der anderen Seite forschte er an der Optimierung chemischer Reaktionen in Zusammenarbeit
mit dem Chemiewerk Schwedt für die Optimierung der Paraffinextraktion und der Herstellung
von Waschmitteln aus Erdöl. Die praktischen Ergebnisse dieser Arbeit wurden durch die DDR
so hoch bewertet, dass ihm 1972 dafür der Nationalpreis für Wissenschaft und Technik
verliehen wurde. Im Jahr 1977 wurde Herbert Gajewski Akademieprofessor am Mathematikinstitut
der Akademie der Wissenschaften der DDR.
Im Rahmen der Bestrebungen des Instituts, Beiträge zur Modellierung von mikroelektronischen
und optoelelektronischen Bauelementen zu leisten, wandte sich die von ihm geleitete Arbeitsgruppe
dieser Thematik zu. Es gelang ihm, gemeinsam mit Konrad Gröger, weltweit erstmalig das
sogenannte van Roosbroeck-System unter realistischen Annahmen mathematisch zu analysieren und,
darauf fußend, das Simulationswerkzeug „Tosca“ zu entwickeln.
Im Sinne seiner Auffassung, dass die Arbeit an einem Akademie-Institut konkreten Nutzen zu stiften habe,
unterhielt er selbst Kooperationen zum Funkwerk Erfurt, zum Halbleiterwerk Frankfurt und zum
Werk für Fernsehelektronik in Berlin und führte eigenhändig umfangreiche Berechnungen
der Bauelemente aus. Für die Gesamtheit seiner bahnbrechenden Arbeiten in der Mikroelektronik
wurde ihm 1993 der Karl-Heinz-Beckurts-Preis für Impulse aus der Wissenschaft für Innovationen
verliehen.
Von 1985 bis 1992 war Herbert Gajewski Korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften
der DDR – seit 1992 der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
An der sehr positiven Evaluierung des „Karl-Weierstraß-Instituts“ in der frühen
Nachwendezeit und seiner Neugründung als „Blaue-Liste-Institut“ im Jahr 1992
hatte er fachlich, wie auch durch seine hohen menschlichen Qualitäten, einen großen Anteil.
Konsequenterweise übernahm er bis September 1993 auch die Funktion des kommissarischen Direktors
dieses neuen Instituts und war, neben seiner Funktion als Leiter der Forschungsgruppe
„Partielle Differentialgleichungen und Variationsgleichungen“ auch bis zu seiner
Emeritierung 2004 stellvertretender Institutsdirektor.
In den Jahren 1992 bis 2004 wandte er sich, neben der Halbleitertheorie und der Fortentwicklung
des Simulationswerkzeugs WIAS-TeSCA, auch Problemen aus der Mathematischen Biologie und der
Phasenseparation zu. Letztere fanden, seinem generellen Impetus „Nützlich für andere“
folgend, in Kooperation mit der Berliner Charité Anwendung in der Rheuma-Diagnostik.
Herbert Gajewski war als Kollege und Mensch eine herausragende Persönlichkeit.
Wir sind sehr froh, ihn gekannt und bis zuletzt als aktives Ehrenmitglied des Instituts erlebt zu haben.
Noch im Oktober konnten wir seinen 80. Geburtstag im Rahmen eines Ehrenkolloquiums mit ihm feiern.
Unsere Gedanken sind in dieser schweren Zeit bei seiner Familie.