Mathematischer Ort des Monats März 2018
Grab für Hans Junecke in Berlin-Charlottenburg
von
Wolfgang Volk
Nördlich des Rathauses Charlottenburgs lag der alte Dorfkern des
Ortes Lietzow (seit dem 18.
Jahrhundert auch Lützow genannt). Seit wenigen Jahren ist auch bekannt, dass
Leonhard Euler in diesem Dorf 1753 ein Landgut
erworben hatte, um seine vielköpfige Familie preiswert und mit frischen landwirtschaftlichen
Produkten versorgen zu können (vergleiche den Artikel
Zum Euler-Jubiläum). Westlich des heute noch
am Straßenverlauf erkennbaren Dorfangers ist der Alte Kirchhof der Charlottenburger
Luisengemeinde gelegen (heute
Evangelischer Luisenfriedhof I).
Auf diesem Friedhof befindet sich ein Urnengrab, das aus mathematischer Sicht interessant ist.
Es ist das Grab des Kunsthistorikers Hans Junecke und seiner älteren Schwester Ilse.
Hans Junecke hat in Halle Architektur und später Kunstgeschichte studiert, war Professor in Halle,
hatte gegen den Abriss des Stadtschlosses protestiert und war infolge dessen so drangsaliert worden,
dass er die DDR verließ (siehe [4]). Ab dem Wintersemester 1951/52 hielt er als Gastdozent
Vorlesungen am Kunstgeschichtlichen Institut der Freien Universität Berlin [3], wurde
später dort als Professor berufen und 1966 emeritiert1).
Wie auf obigem Bild zu erkennen ist, ist die Grabstätte mit einer Grabplatte ausgestattet,
welche die Titel, Namen und Geburts- sowie Todesjahr der Verstorbenen ausweist:
Ilse Junecke
1898 – 1978
Prof. Dr.
Hans Junecke
1901 – 1994
1898 – 1978
Prof. Dr.
Hans Junecke
1901 – 1994
Daneben gibt es auch einen Grabstein, der ausschließlich eine rechteckige geometrische Figur zeigt,
die wiederum verschiedenartig in Rechtecke zerlegt ist. In diese Rechtecke sind Diagonalen eingezeichnet,
die mit Zahlenverhältnissen beschriftet sind (siehe das nachstehende Bild).
Eine Annäherung an die Bedeutung dieser grafischen Darstellung erlaubt die Festschrift [5],
die anlässlich des 80. Geburtstags von Hans Junecke herausgegeben wurde. Dieses Buch benennt
zwar Hans Junecke als Autor, ist jedoch ein Elaborat der drei Herausgeber, die das von Hans Junecke
entwickelte Konzept der Messfigur, seinem wichtigsten Spätwerk, in mehreren Kapiteln
ausarbeiteten (vergleiche auch [2, S. 29]). Es fällt dabei auf, dass die drei Herausgeber
nicht der Kunstgeschichte, sondern dem Fachgebiet Architektur zuzuordnen sind.
Die Festschrift [5] besitzt noch einen Untertitel, nämlich „Pythagoreische Proportionen
in der historischen Architektur“. Und dies lässt bereits die Zielrichtung der Analysen
erahnen, nämlich in der Dimensionierung von historischen Bauwerken die Verwendung von
Pythagoreische Dreiecken
nachzuweisen, also rechtwinklige Dreiecke,
bei denen sich alle Seitenverhältnisse als Quotienten natürlicher Zahlen
darstellen lassen.
Genauer genommen geht es um (achsparallele) Rechtecke,
deren Seiten den Katheten Pythagoreischer Dreiecke entsprechen. Das Seitenverhältnis wird als
Quotient ganzer Zahlen an einer der Diagonalen notiert. Dabei steht die Messmethode Pate, die
bereits von den Harpedonapten, den
Feldmessern im Alten Ägypten, zur Konstruktion rechter Winkel angewendet wurde.
Bereits in der Einleitung in [5] wird auf das Rechteck mit dem Höhen-Seitenverhältnis
15:28 eingegangen, das sich horizontal in zwei Rechtecke mit den entsprechenden Verhältnissen
2:7 und 1:4 zerlegen lässt. Vertikal lässt es sich in ein Quadrat (Verhältnis 1:1)
und ein Rechteck mit dem Verhältnis 15:13 zerlegen. Dabei wird darauf hingewiesen,
dass 15/13 = 1,15385 eine recht gute Approximation für das Seiten-Höhenverhältnis
im gleichseitigen Dreieck 1,15470 ist.
Im ersten Kapitel von [5], „Die Teppichfigur“, wird die Relevanz des Rechtecks mit dem
Höhen-Seitenverhältnis 15:28 (siehe Figur F in [5, S. 29]) im Zusammenhang mit den im
alttestamentarischen
2. Buch Mose
(Exodus), Kap. 26 angegebenen Maßen für die Stiftshütte betrachtet und dabei
auch festgestellt, dass dieses Rechteck sich aus zwei Rechtecken zusammensetzen lässt, die ihrerseits
aus Pythagoreischen Dreiecken mit den Kathetenverhältnissen 15:8 und 3:4 zusammengesetzt sind
(siehe Figur E in [5, S. 29]).
Dies zusammengenommen ergibt genau die Konstruktion, die auf dem Grabstein wiedergegeben ist.
Die Hypotenusen der genannten Pythagoreischen Dreiecke sowie deren gemeinsame Kathete
sind gestrichelt dargestellt.
Referenzen
[1] | Martina Abri: private Kommunikation | |
[2] | Frank Augustin: Schinkels erstes Hauptwerk. Das Verwalter- und Molkenhaus in Bärwinkel bei Neuhardenberg, in: Karl Friedrich Schinkel – Aspekte seines Werks, Hrsg.: Susan M. Peik, Edition Axel Menges, Stuttgart et al., 2001, S. 27 - 29, ISBN: 3-930698-81-1 | |
[3] | Cornelia Brosamer, Katrin Stern: Kunstgeschichte in der Nachkriegszeit 1945 –1955, | |
[4] | Rainer Haubrich: Humboldt-Forum, WELT am Sonntag, 2.1.2014 | |
[5] | Hans Junecke: Die wohlbemessene Ordnung – Pythagoreische Proportionen in der historischen Architektur, 1. Auflage, Verlag der Beeken, Berlin, 1982, Hrsg: Goerd Peschken, Tilmann Johannes Heinisch, Frank Augustin, ISBN: 3-922993-02-8 |
Bildnachweis
Fotos | Wolfgang Volk, Berlin, Februar 2008 |
1) Diese Informationen sind aus Findbüchern
des Universitätsarchivs der Freien Universität Berlin entnommen und enthalten nur
Schlagworte zu Fakultätssitzungen, so
- Umhabilitierung, 16.07.1952,
- Ernennung zum apl. Prof., 02.05.1956
und Sitzungen des Akademischen Senats, so
- Berufung, 29.02.1956
- Emeritierung, 26.01.1966
- Umhabilitierung, 16.07.1952,
- Ernennung zum apl. Prof., 02.05.1956
und Sitzungen des Akademischen Senats, so
- Berufung, 29.02.1956
- Emeritierung, 26.01.1966