Mathematischer Ort des Monats Mai 2022
Messinstrumente im Kunstgewerbemuseum in Berlin-Tiergarten
von
Eberhard Knobloch
und
Wolfgang Volk
In einem Kunstgewerbemuseum würde man nicht zwingend die Ausstellung von Messinstrumenten
erwarten, der primäre Fokus dieser Museumsgattung ist die Präsentation kunstvoll
ausgeschmückter Alltagsgegenstände wie Mobiliar, Geschirr, Vasen, Teppiche, auch Kleidung
einerseits aber auch allgemein Schmuckwerk wie Pokale, Figuren und Ähnliches andererseits,
die dem Adel und wohlhabenden Familien vorbehalten waren oder im kirchlichen Kontext zu sehen
sind.
In der Renaissance entstanden an den Fürstenhöfen repräsentative Sammlungen von
kunstvollen Objekten, sogenannte Kunst- oder Wunderkammern, um einen Machtanspruch und nicht selten
auch Herrschaftswissen und Bildung zu demonstrieren.
Die Übergabe des Pommerscher Kunstschranks an den Herzog
Philipp II. von
Pommern-Stettin und seiner Gemahlin Sophie von Schleswig-Holstein-Sonderburg
im Jahr 1617
Solch eine Sammlung stellt auch der Pommersche Kunstschrank dar. Das Gemälde von
Anton Mozart zeigt die feierliche
Übergabe. Kurioser- und notwendigerweise entstand das Gemälde etwa zwei Jahre vor diesem
Ereignis, gehörte es doch selbst zum Inhalt dieses Kunstschranks – die dargestellten
Personen sind alle namentlich bekannt [2]. Der Inhalt des Kunstschranks – soweit
erhalten – ist in Vitrinen der Abteilung IV Renaissance bis Barock im Obergeschoss
des Kunstgewerbemuseums ausgestellt; der Kunstschrank selbst ist gegen Ende des zweiten Weltkriegs
in Berlin Flammen zum Opfer gefallen1).
Neben Essgeschirr mit Besteck, einem Spielbrett mit Schachfiguren, chirurgischen Instrumenten,
verschiedenen Werkzeugen und Utensilien beinhaltete der Pommersche Kunstschrank auch verschiedene
geometrische und astronomische Instrumente und ein Astrolabium.
Während die Handhabung mancher einfacher geometrischer Gerätschaften aus dem
Schulunterricht bekannt sein dürfte, bleibt die Einsetzbarkeit mancher Instrumente
aus heutiger Sicht im Dunkeln.
Einzig auf das Astrolabium soll detaillierter eingegangen werden. Auffällig ist jedenfalls,
dass viele der ausgestellten Gerätschaften eine reiche Verzierung auszeichnet, was wiederum
ihre Präsentation in einem Kunstgewerbemuseum definitiv rechtfertigt.
Das Astrolabium
Das Astrolabium ist ein in der Spätantike erfundenes, vielseitig einsetzbares und deshalb
beliebtes astronomisches Instrument, das im 8. Jahrhundert von den Muslimen, im 10. Jahrhundert
von den Europäern übernommen wurde.
Es entwickelte sich zum Symbol der europäischen Wissenschaft bis zum 19. Jahrhundert.
Als zweidimensionales Kosmos-Modell konnte es insbesondere als analoger Computer die Bewegung
der Himmelssphäre hinsichtlich des Beobachters simulieren.
Seine nur scheinbar verwirrenden Liniensysteme dienten unter anderem der Zeitbestimmung,
der Kontrolle der geographischen Breite auf See, aber auch astrologischen Zwecken.
Solche Astrolabien besitzen eine einheitliche Grundstruktur aber verschiedene Ausprägungen
und Ausstattungen. Stellvertretend für die im Kunstgewerbemuseum ausgestellten Astrolabien
soll jenes aus dem Pommerschen Kunstschrank beschrieben werden. (Dies ist
jenes der nachstehenden Bilderserie, das vor einem weinroten Hintergrund ausgestellt ist.)
Diese Beschreibung kann hier aber nur grob erfolgen. Die Erfindung des Astrolabiums wird
Hipparch von Nicäa
(um 190-um 120 vor Christus) zugeschrieben. Es fand zunächst Verbreitung im muslimischen
Kulturkreis und fand erst ab dem 13./14. Jahrhundert Verbreitung im Abendland.
Prinzipiell lassen sich mit einem Astrolabium auch Gestirnshöhen (vertikaler Höhenwinkel
über dem [virtuellen] Horizont) ermitteln. Zu diesem Zweck besitzen Astrolabien einen Ring,
an dem sie aufgehängt werden können. Die Skala zur Bestimmung der Gestirnshöhe
sowie die im Zentrum angebrachte bewegliche Peilvorrichtung sind in der Regel an der
Rückseite des Astrolabiums angebracht (siehe unten).
Die Vorderseite mit seiner erst einmal verwirrenden Struktur ist jene, die man in der Regel
ausschließlich zu sehen bekommt. Sie dient der Modellierung der Himmelssphäre und
besteht prinzipiell aus vier Teilen:
- der Mater mit dem Limbus, der den Rahmen bildet. Dieser besitzt am Rand eine 360°-Winkelteilung sowie eine Einteilung in 2×12 Stunden. Das Zentrum, an dem die beweglichen Teile befestigt sind, bezeichnet den (nördlichen) Himmelspol.
- dem Tympanon, einer Einlegscheibe mit einer Schar von Kreisbögen, welche Linien gleicher Höhe über dem Horizont darstellen (Almukantaraten). Der Punkt, um den diese Kreisbogenschar sich windet bezeichnet den Zenit, also den Punkt am Firmament, der sich über dem Beobachter/der Beobachterin befindet. Dieser Punkt wie auch die Kreisbogenschar – der unterste Kreisbogen beschreibt den (virtuellen) Horizont – ist von der geografischen Breite abhängig, was bedeutet, dass man das jeweils passende Tympanon in den Limbus einlegen muss. Es ist mit mechanichen Mitteln sichergestellt, dass das Tympanon gegenüber dem Limbus nicht drehbar/beweglich ist.
- dem Rete, eine eingelegte Scheibe mit vielen Aussparungen, die drehbar ist, und den Sternenhimmel modelliert. Der Rand des auffallend exzentrischen kreisförmigen Gebildes stellt die scheinbare Sonnenbahn im Jahreslauf (Ekliptik) dar. Darüberhinaus sind einzelne auffällige (weil helle) Sterne durch die Spitzen von Metallzungen repräsentiert. Diese Metallzungen sind mit kunstvoll geschwungenen Verstrebungen fixiert, auf denen die Bezeichnungen der jeweiligen Sterne notiert sind. So kann man zum Beispiel etwa im Zentrum des linken oberen Quadranten die Worte ALDEBARAM OCCVLVS TAVRI2) erkennen, was darauf hinweist, dass die Spitze der zugeordneten Metallzunge den Stern Aldebaran, das Auge des Stiers (im Sternbild Stier) modelliert. Dabei ist anzumerken, dass die Abbildung der Himmelskugel in die Ebene (des Rete) durch die stereografische Projektion mit dem geografischen Südpol als Projektionszentrum bewerkstelligt wird. Diese Abbildung besitzt die angenehme Eigenschaft, dass Kreise auf der (Himmelskugel) auf Kreise in der Ebene abgebildet werden3).
- der Alhidade, ein einfacher Zeiger (auf dem Foto nach oben etwas nach rechts zeigend). Mit ihr lassen sich Winkel und Uhrzeiten auf dem Limbus ablesen, sowie mit ihrer eigenen Skala die Deklination (im äquatorialen System) von Sternen ablesen.
Das hier beschriebene Exemplar eines Astrolabiums besitzt darüber hinaus noch weitere
6 Zeiger, mit denen sich die Positionen der Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn sowie
des Erdmonds anhand von Tabellenwerten einstellen lassen.
Auf einen Sachverhalt sollte noch hingewiesen werden: Der Kreis auf dem Rete, der die Ekliptik
repräsentiert, ist mit einer Skala versehen, welche die lateinischen Bezeichnungen der
zwölf Tierkreiszeichen zeigt. Der Bereich eines Tierkreiszeichens wiederum ist in 30 Teile
unterteilt. Diese Skala stellt den Jahreskalender dar. Bei der Nutzung dieser Skala ist eine
Umrechnung unserer heutigen Datumsangaben (Monat, Tag des Monats) in die an Tierkreiszeichen
orientierten Skala erforderlich.
Auf vielen Astrolabien findet man auf der Rückseite (Dorsum) neben der Winkelskala und
der Peilvorrichtung noch ein sogenanntes Schattenquadrat.
Mit dessen Hilfe lassen sich auch Höhen aus Entfernungen von Objekten und umgekehrt durch
einfache Proportionen ableiten.
Die weiteren im Kunstgewerbemuseum ausgestellten Astrolabien befinden sich in einer weiteren
Vitrine, die noch weitere geometrische Instrumente, wie Greif- und Proportionalzirkel
beinhaltet.
Weitere Exponate im Kunstgewerbemuseum
Beim Museumsbesuch stößt man noch in der Abteilung IV Renaissance bis Barock auf
den abgebildeten Teller, dessen Motiv eine Allegorie der Geografie wiedergibt. In dieser Darstellung
wird die Nutzung eines Stechzirkels zum Abgreifen von Entfernungen (auf nicht notwendig planen
Flächen) demonstriert.
Das nachstehend wiedergegebene Ensemble ist in der Vitrine VI/4 in der Abteilung VI
Klassizismus und Historismus ausgestellt.
Das vorstehend wiedergegebene Ensemble ist nur ein kleiner Teil eines aus 180 Teilen bestehenden
Reisenecessaires in einem Koffer aus Mahagoniholz, hergestellt von der Firma Maire, Rue St. Honoré
in Paris. Die Herstellung wird in die Periode 1798-1809 datiert, sie erfolgte nicht nur in Frankreich,
sondern auch in Prag. Auffallend, wie auch überraschend, ist, dass Winkelmesser, Lineal,
Stechzirkel und weitere Instrumente durchaus zu den „Notwendigkeiten“ auf Reisen angesehen
wurden.
Referenzen
[1] | Franz Adrian Dreier: Winkelmessinstrumente; vom 16. bis zu frühen 19. Jahrhundert1), Katalog zur Ausstellung im Kunstgewerbemuseum vom 9. November 1979 bis 23. Februar 1980, Hrsg.: Kunstgewerbemuseum, zweite erweiterte Auflage, Berlin, 1989 | |
[2] | Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz Berlin: Die Übergabe des Pommerschen Kunstschrankes an Herzog Philipp II. von Pommern-Stettin im Jahre 1617, Text von Rosewith Braig, Beilagenblatt 1474 des Kunstgewerbemuseums, Berlin, 1985 | |
[3] | Staatliche Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz: illustre Gäste – Kostbarkeiten der Kunstkammer Würth, Broschüre zur Ausstellung der Kunstkammer Würth vom 10. Dezember 2021 bis 10. Juli 2022 im Kunstgewerbemuseum, Berlin, 2021, ISBN 978-3-88609-864-4 | |
[4] | Wikipedia: Pommerscher Kunstschrank |
Bildnachweis
alle Fotos | Wolfgang Volk, Berlin, Februar 2022 |
1) Wie der Pommersche Kunstschrank in die Linie der
Hohenzollern und letztendlich in den Bestand des Kunstgewerbemuseums gelangte,
ist detailliert [4] zu entnehmen.
2) in heutiger Schreibweise: ALDEBARAN –
OCVLVS TAVRI
3) Lediglich solche Kreise, die wie die Meridiane
durch das Projektionszentrum (den Südpol) verlaufen, werden auf Geraden abgebildet.