Mathematisches Kunstwerk des Monats Juni 2022
Kunstwerk „prototypical triangle“ in der Klosterruine in Berlin-Mitte
von
Wolfgang Volk
Die Ruine der Franziskaner Klosterkirche gehört zu den heute noch erhaltenen
Baudenkmälern der berliner Gründungsgeschichte und ist letztes Zeugnis
mittelalterlicher Klosterkultur der Stadt Berlin.
Als erstes vollständig in Backstein ausgeführtes Bauwerk markiert die
Klosteranlage des Franziskanerordens den Beginn der regionalen Backsteingotik in Berlin.
Nach der Reformation wird der Franzikanerkonvent im 16. Jahrhundert aufgelöst.
Es bezieht der Alchemist und kurfürstliche Leibarzt Leonhard Thurneysser das
Gebäude und richtet seine Laboratorien, eine Druckerei und eine Bibliothek ein.
Noch im selben Jahrhundert gründet sich hier Berlins erstes Gymnasium
Zum Grauen Kloster, welches sich zu einer der bedeutendsten Bildungseinrichtungen
des Berliner Bürgertums entwickelt.
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wird die Klosteranlage bei Bombenangriffen stark
beschädigt. Erhalten bleibt die Ruine der ehemaligen Klosterkirche,
umfasst von einer Grünanlage.1)
Seit den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts wird die Klosterruine kulturell genutzt.
So ist vom 19. Mai bis zum 10. Juli 2022 die Ausstellung Prototypical Triangle:
Berlin Church Roof Destroyed on April 3, 1945, Reimagined der amerikanischen
Künstlerin
Alice Adams in der
Klosterruine zu sehen.
(Das kulturelle Programm und weitere Informationen zur Klosterruine werden im Portal
www.klosterruine.berlin kommuniziert.)
Der Begleittext zur Ausstellung lautet: Für ihre erste Einzelausstellung in Deutschland
schafft die amerikanische Künstlerin Alice Adams eine raumgreifende, zweiteilige
Installation. Inspiration für die Arbeit bietet der Dachstuhl der 1945 zerstörten
Klosterkirche. Die stets ortsspezifischen Skulpturen Adams inszenieren die meist unsichtbaren
Bedingungen öffentlicher Räume und evozieren in ihrer geisterhaften Theatralirät
die verdrängten Dimensionen gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Man darf das Kunstobjekt allerdings auch (aus mathematischer Sicht) realistischer betrachten:
Der modellierte Teil des Dachstuhls in der Gestalt eines gleichschenkligen Dreiecks setzt sich
aus vielen kongruenten Dreiecken zusammen, die zeilenweise angeordnet sind.
Etliche scheinen auf dem Kopf (der Spitze) zu stehen.
Bezeichnet man mit n die Anzahl der Zeilen mit den kleinen Dreiecken, so ergeben sich
interessante Beziehungen mit sogenannten Dreiecks- und Quadratzahlen [1, S. 4ff].
Für n ≥ 1 ist
die n-te Dreieckszahl
Dn
ist durch die Zuweisung
definiert. Es ist bequem, zusätzlich für
n = 0 kompatibel
D0 = 0
zu definieren (leere Summe oder die eingeklammerte Variante führen dazu, dass auch
D0
wohldefiniert ist).
Man erkennt sofort, dass die Anzahl der „aufrechten“ kleinen Dreiecke mit
Dn übereinstimmt.
Andererseits stimmt die Anzahl der auf dem Kopf stehenden kleinen Dreiecke mit
Dn-1 überein.
Diese Beziehungen lassen sich am Kunstwerk von Alice Adams für
n=1(1)4 durch
Abzählen verifizieren.
Interessanterweise gilt zudem, dass sich die
i-te Zeile aus
2·i-1 kleinen Dreiecken
zusammensetzt,
i-1 auf dem Kopf stehende und
i „normal“ orientierte.
Nun gilt zudem
und konsequenterweise demzufolge
n2 = Dn +
Dn-1 .
Diese mathematischen Beziehungen – vorzugsweise durch
vollständige Induktion –
zu beweisen, sei der Leserin und dem Leser (sofern hinreichend motiviert) anheimgestellt.
Referenzen
[1] | Heinz Klaus Strick: Mathematik – einfach genial, Springer Verlag, Springer, Berlin - Heidelberg, 2020, ISBN 978-3-662-60448-9 |
Bildnachweis
alle Aufnahmen | Wolfgang Volk, Berlin, Mai/Juni 2022 |
1) Dieser Text (die drei ersten Absätze dieses
Beitrags) ist der Informationstafel entnommen, die man links vom Eingangportal der Ruine
vorfindet.