Mathematischer Ort des Monats November 2019
Mausoleum der Familie Zeitler in Berlin-Prenzlauer Berg
von
Wolfgang Volk
Es ist nur ein kleines Detail, was das Mausoleum der Familie Zeitler auf dem Georgen-Parochial-Friedhof I
zu einem mathematischen Ort macht. Und selbst das dürfte auf ein Missverständnis oder auf ein
Versehen zurückzuführen sein.
Auf beiden Seiten der Eingangstür zum Mausoleum sind die Bezeichnungen von fünf Stiftungen
eingemeißelt:
- Stiftung für Weber und Wirker
- Stiftung für Mathematiker und Naturkunde-Studirende
- Stiftung für Theologen und Philologen
- Stiftung für Wittwen und Waisen
- Stiftung für Handwerker und Kunstschüler
Überraschend eben, dass hier Mathematiker erwähnt werden, gehören diese doch zu den eher besser
Verdienenden [1, S. 251] (vergleiche auch [5]). Vielmehr dienten die Zeitlerschen Stiftungen der
finanziellen Unterstützung verarmter Handwerkerfamilien und von bedürftigen Studierenden.
Im letzten Fall sollen die Fächer Mathematik, Naturwissenschaften, evangelische Theologie und klassische
Philologie besonders hervorgehoben sein (vergleiche [3]). In [4] ist auf Seite 255 die Johann Jakob Zeitler-Stiftung
für Weber und arme Handwerker unter der laufenden Nummer 903 mit dem Stiftungszweck ausgewiesen, das
Zeitlersche Erbbegräbnis zu erhalten und die Unterstützung von Webern, Wirkern,
Rasch-,
Tuch- und
Zeugmachern und Strumpf- und Seidenwirkern namentlich als Beihilfe zur Miete zu leisten.
Weitere Stiftungen beinhalteten Wohngebäude für bedürftige Personenkreise (siehe [3]), die
neben den Bestatteten ebenfalls am Mausoleum benannt sind: so auf der Frontseite des Mausleums das
- Stift eines Ungenannten
- Studentenstift
- Theologenstift
- 1889 Weberstiftung
- 1894 Wilh[elm] Zeitler's Frauenheim
- 1896 Agn[es] Zeitler's Candidatenheim
- 1901 Lud[wig] Zeitler's Studienhaus
- 1903 Emil Zeitler's Fachschulenhaus
Das Mausoleum wurde in den Jahren 1871 bis 1875 von Carl Ludwig Zeitler (1835-1910) und seinen Brüdern
nach dem Ableben ihres Vaters Johann Jakob (1807-1871) errichtet. Der Kaufmann C. L. Zeitler leitete das
elterliche Geschäft, bezeichnete sich aber selbst als Baumeister (vergleiche die Inschrift am Mausoleum),
obwohl er nie eine entsprechende Ausbildung genoss [3].
Außergewöhnlich an diesem Mausoleum ist, dass auf der linken Seite des Mausoleum ein
historischer Abriss zu dessen Baufortschritt in Verbindung mit den Umwälzungen während der
Bauzeit (und teilweise danach) in Stein gemeißelt ist. Der Text soll nachstehend wiedergegeben werden:
Der glückliche deutsch-französische
Siebenmonats Krieg 1870-71 n[ach] Chr[isti] Geb[urt} gab Anlass // zu soviel neuen Anlagen in der
Reichshauptstadt, dass die Arbeiter knapp wurden und // durch Arbeits-Einstellungen höhere Löhne und
kürzere Arbeitszeit erlangten.
Der Bau dieses Grabes – unten 2 Ruthen, oben 14 Fuss lang, 12' breit, 24' hoch – lag bis im // Herbst 1872 still, die Steinmetze arbeiteten im Sommer nicht, ihr Wochenlohn stieg von // 6 auf 14 Thaler. Bauhandwerker erhielten 5-6 statt 2 Groschen, Arbeiter nun 3½-4, bisher // 1½ Gr[oschen] für die Stunde. Harte Ziegel kosteten beim Baubeginn 8, später 25 Th[a]l[e]r d. 1000.
Während des Baues wurden Maasse, Gewichte und Geld verändert. Die Ruthe (=12'=144 // Zoll) wurde durch den (3' 2¼"1) langen) 100 theiligen Meterstab, das Quart durch Liter (=8/9 Qu[art]) // der Zentner (=100 Pfund 3000 Loth) durch K[i]l[o}gr[amm] (=2 Pf[un]d verdrängt. Die Zahlung mit Silberth[a]l[ern] // (=30 Gr[oschen] =360 Pf[enni]g wurde durch die Gold (Mark) Währung ersetzt. (1 Th[a]l[e]r=3 Mark=300 Pf[enni]g)
Neue Gesetze entstanden. Die Beurkundung von Geburt, Hochzeit, Tod ging von der Kirche auf // den Staat über. Ein Strafgesetzbuch für alle Deutsche. Ein bürgerliches Gesetzbuch erst 1900.2)
Der Bau dieses Grabes – unten 2 Ruthen, oben 14 Fuss lang, 12' breit, 24' hoch – lag bis im // Herbst 1872 still, die Steinmetze arbeiteten im Sommer nicht, ihr Wochenlohn stieg von // 6 auf 14 Thaler. Bauhandwerker erhielten 5-6 statt 2 Groschen, Arbeiter nun 3½-4, bisher // 1½ Gr[oschen] für die Stunde. Harte Ziegel kosteten beim Baubeginn 8, später 25 Th[a]l[e]r d. 1000.
Während des Baues wurden Maasse, Gewichte und Geld verändert. Die Ruthe (=12'=144 // Zoll) wurde durch den (3' 2¼"1) langen) 100 theiligen Meterstab, das Quart durch Liter (=8/9 Qu[art]) // der Zentner (=100 Pfund 3000 Loth) durch K[i]l[o}gr[amm] (=2 Pf[un]d verdrängt. Die Zahlung mit Silberth[a]l[ern] // (=30 Gr[oschen] =360 Pf[enni]g wurde durch die Gold (Mark) Währung ersetzt. (1 Th[a]l[e]r=3 Mark=300 Pf[enni]g)
Neue Gesetze entstanden. Die Beurkundung von Geburt, Hochzeit, Tod ging von der Kirche auf // den Staat über. Ein Strafgesetzbuch für alle Deutsche. Ein bürgerliches Gesetzbuch erst 1900.2)
Im Innern des Mausoleums bedindet sich sich ein Mosaik, das Carl Ludwig Zeitler und seine Gattin Agnes
zeigt. Zur Symbolik sei auf [2] verwiesen.
Referenzen
[1] | Miriam Dieter und Günter Törner: Zahlen rund um das Mathematikstudium, Teil 6: Der Arbeitsmarkt für Mathematiker, Mitteilungen der DMV 17.4 (2009), S. 247 - 252 | |
[2] | Ewa Maria Slaska: Ein Mann, ein Werk, ein Grab (und die Frauen), Blog | |
[3] | Wikipedia: Carl Ludwig Zeitler | |
[4] | Zentrale für private Fürsorge (Hrsg.): Die Wohlfahrtseinrichtungen von Groß-Berlin nebst einem Wegweiser für die praktische Ausübung der Armenpflege in Berlin, 4. Auflage, Springer Verlag Berlin Heidelberg GmbH, 1910, ISBN 978-3-662-33637-3 | |
[5] | Günter M. Ziegler: Traumjob Mathematik, Mathematik im Alltag, Mitteilungen der DMV 17.1 (2009), S. 36 - 37 |
Bildnachweis
Detail am Mausoleum | Ausschnitt eines Fotos von Jürgen Hahn, Berlin | |
Mosaik | Quelle Wikipedia: Datei https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Zeitler.jpg, Die Aufnahme ist (vermutlich) gemeinfrei. | |
Weitere Fotos vom Mausoleum | Wolfgang Volk, Berlin, Februar 2019 |
1) Wie bei der Unterteilung beim Gradmaß (Altgrad, Symbol °) in
Winkelminuten (Symbol ', 60' = 1°) und Winkelsekunden (Symbol ", 60" = 1') werden bei der Unterteilung
der preußischen Rute die gleichen Symbole genutzt: der Fuß (Symbol ') und das Zoll (Symbol ")
2) Abgekürzte Worte sind durch die fehlenden Buchstaben
in eckigen Klammern ergänzt. Die Schreibung von Worten wurde – auch wenn diese aus heutiger
Sicht nicht korrekt wiedergegeben ist – so belassen.