Mathematischer Ort des Monats September 2022
„Anno 1913: Schwankende Erdoberfläche gemessen!?“
Eine fast vergessene Messstrecke in der Parforceheide
von
Michael E. Klews
Durch den Artikel „Mess-Säulen stehen wieder“ in den
Potsdamer Neuesten Nachrichten vom 09.09.2000,
der in [1] und [2] als Quelle angegeben ist, dem Autor dieser Zeilen aber unzugänglich,
erlangten die Geodäten und Landvermesser neue Kenntnis einer vergessenen Messstrecke in der
Parforceheide unmittelbar westlich von
Postdam-Drewitz. Der nämliche Zeitungsartikel führte aus, bei Sanierungsarbeiten an der
A 115 seien zwei Obelisken entfernt worden, die offensichtlich einer Messstrecke angehörten;
nach Ende der Bauarbeiten wurden sie an neuen Standorten, die innerhalb der Messstrecke lagen
wieder aufgestellt ([1], Seite 59), und zwar auf Veranlassung des
Potsdamer Amts für Denkmalpflege ([2], Seite 11).
Der Verfasser des Zeitungsartikels – ein Potsdamer Heimatforscher – kannte
glücklicherweise einen Beitrag in den
Allgemeinen
Vermessungsnachrichten aus dem Jahr 1937, der einen Hinweis auf die Strecke gab.
Neben dieser Quelle fand sich nur eine kleine Aktennotiz im
Geheimen Preußischen Staatsarchiv
mit einem ausdrücklichen Hinweis auf die Messstrecke; in der Dissertation von
Egbert Harbert aus dem Jahre 1920
ergibt sich aber jedenfalls, dass auf der Strecke tatsächlich gemessen wurde ([2], Seite 11).
Die Messstrecke wurde auf dem Breiten Gestell angelegt, das seinerzeit noch nicht durch
Autobahn und Straßen zerschnitten war und den Charakter eines Waldweges hatte, der heute nur
noch auf dem Abschnitt zwischen der Autobahnanschlussstelle Potsam-Babelsberg und der
L79 gegeben ist. Auf der Karte [3] heißt das Breite Gestell
via imperii, es ist Teil des
Jakobswegs.
Auf der Karte sind die vom Autor besuchten Obelisken mit der Denkmal-Signatur verzeichnet.
Die Fotos zeigen die Obelisken zweier
Standorte nördlich der L79. Am nördlichen der beiden Standorte steht westlich des
Breiten Gestells im Gebüsch ein Obelisk, am südlichen hingegen westlich und
östlich des Wegs je einer.
Die beiden südlichen Obelisken sind also
nicht im Gebüsch versteckt. Auf dem Breiten Gestell die geografischen Breiten
52° 21‘ 25,5‘‘ N und 52° 21‘ 08,07‘‘ N passierend, findet man die Objekte und kann sie selbst
in Augenschein nehmen.
Im heutigen Zeitalter der Satellitennavigationssysteme war es dem Autor dieses Beitrags leicht,
die fotografierten Obelisken zu finden. Der in [1] in Abbildung 6 wiedergegebene Landkartenausschnitt
lässt die Standorte im Verein mit einer digitalen Karte hinreichend genau bestimmen und dann
mittels eines handelsüblichen Outdoor-Navigationsgeräts auffinden.
Da es bei den Messungen, die Schwankungen der Erdoberfläche, sprich Veränderungen des
Erdkörpers, nachweisen sollten, auf möglichst gleiche Beschattung über die gesamte
Strecke ankam, war ein Waldweg wichtig, zumal dieser möglichst genau von Nord nach Süd
verlaufen sollte und es einen in West-Ost-Richtung verlaufenden querenden Weg geben sollte;
die Nähe zum Potsdamer Telegrafenberg war wichtig, um die geografische Breite leicht bestimmen
zu können ([2], Seite 10). Die Strecke endet am Jagdschloss Stern.
Die Schwankungen der Erdoberfläche hoffte man durch
Fein-Nivellement mittels des
Voglerschen Schiebe-Kathetometers [2]
nachweisen zu können, was aber scheiterte. Der Erfinder des genutzten Kathetometers,
Christian August Vogler,
war unter anderem Professor der Geodäsie an der
Landwirschaftlichen
Hochschule Berlin,
deren Geodätisches Institut er leitete: Damals war die Geodäsie und die Landvermessung
bei den Landwirten angesiedelt.
So weit, so gut, oder vielleicht doch nicht? Tatsächlich begann Prof. Vogler seine
Messungen schon ab 1883 im Charlottenburger Westend, in Halensee und im Grunewald ([1], Seite 61
und [2], Seite 11), also in Teilen des heutigen Berlins. Man stellte Veränderungen der
Höhenmarken fest, führte sie aber unter anderem auf die zunehmende Erschließung
der beiden Gebiete zurück. Die Veröffentlichung der Messergebnisse
in der Zeitschrift für Vermessungswesen (ZfV) weisen auf die Messstrecke in der
Parforceheide hin, ohne sie aber zu erwähnen.
Es wurden Höhenschwankungen berichtet, die aber letztlich ungeklärt blieben und zu
rückblickend abenteuerlichen Hypothesen führten ([1], Seiten 61-62).
Die in [1] auf Seite 60 aufgeworfenen drei Fragen – hier wörtlich wiedergegeben –
werden wohl immer unbeantwortet bleiben:
- Warum wurde die Messstrecke in Potsdam angelegt und wer war dran beteiligt?
- Wieviele Obelisken wurden aufgestellt und wie waren sie angeordnet?
- Warum geriet eine so aufwendige Messstrecke in der geodätischen Fachwelt in völlige Vergessenheit?
Referenzen
[1] | Beate Ehlers: Von Forschergeist und vergessenen Obelisken, Vermessung Brandenburg 1/2002, S. 59-67 | |
[2] | Landesvermessung und Geobasisinformation Brandenburg (LGB) und DVW Berlin-Brandenburg e. V. (Hrsg.): Auf den Spuren der Landesvermessung in Berlin und Brandenburg, Broschüre März 2014, ISBN 978-3-7490-4187-9, S. 10-11 | |
[3] | Radwander- und Wanderkarte Teltow, Ludwigsfelde und Umgebung, 4. Auflage, Dr. Barthel Verlag, ISBN 978-3-89591-087-6 |
Bildnachweis
alle Fotos | Michael E. Klews, Berlin, Mai 2022 |