Mathematischer Ort des Monats April 2018
Mathematisches Detail am Schadowhaus in Berlin-Mitte
von
Wolfgang Volk
Im Beitrag
zum Mathematiker des Monats
November 2017, Edmund Georg Hermann Landau (1877-1938) wird unter anderem auch
das Schadowhaus, mit der Adresse Schadowstr. 10-11 unweit des Brandenburger Tores,
erwähnt. Dieses Wohnhaus wurde für den berühmten Bildhauer
Johann Gottfried Schadow
1805 errichtet und von ihm frontseitig unter anderem mit zwei Reliefs über dem Eingangsportal
des Hauses und symmetrisch dazu über einem Fenster des Erdgeschosses ausgestaltet.
Das Relief über dem Portal trägt die Bezeichnung Die Kunst des Altertums in
ihren vier Hauptepochen [3, S. 12-17]. Die Epochen werden im Folgenden von links nach rechts
kurz benannt und die Szenen mit den dargestellten Protagonisten beschrieben:
Die Szene „Erfindung bei schlichter Naturnachahmung“ bezieht sich auf das
siebte vorchristliche Jahrhundert und zeigt gemäß einer antiken Legende wie die
Tochter des Töpfers Butades einen
Schattenriss ihres Geliebten vor seiner Abreise zeichnet.
Die Szene zur „Epoche der Götterbildung“ bezieht sich auf das vierte
Jahrhundert vor Christus und stellt den antiken Bildhauer
Phidias dar, wie dieser Perikles und
dessen Begleitern das Modell einer kolossalen Zeusstatue zur Beurteilung präsentiert.
Die nächste Szene bezieht sich auf die „Epoche des Ausdrucks von
Leidenschaften“ und damit auf das Zeitfenster vom 3. bis zum 1. vorchristlichen
Jahrhundert. Dargestellt ist , wie Hagesandros
und dessen Söhne an der Laokoon-Gruppe
modellieren. Es spiegelt das arbeitsteilige Zusammenspiel J. G. Schadows mit seinem Sohn
Ridolfo und den anderen Schülern wider.
Die letzte Szene zur „Epoche der Anmut und Grazie“, den höchsten Idealen,
die die bildende Kunst erreichen kann, ist wieder dem vierten Jahrhundert vor unserer
Zeitrechnung zugeordnet. In ihr sind der Bildhauer
Praxiteles mit zwei seiner Werke,
angelehnter Faun und
Eros von Centocella
wiedergegeben.
Rechts daneben sind noch Phryne,
die schöne Hetäre, und ein Knabe „Feuer in der Werkstatt“ rufend zu sehen.
Das rechte Relief ist mit dem Titel Die Protektoren der Kunst überliefert und zeigt
in vier Szenen die bedeutendsten Mäzene der alten und neuen Kunst. Diese Szenen sollen
nachstehend – von links nach rechts – beschrieben werden
(siehe [3, S. 18-22]).
Die erste Szene zeigt ganz links den Staatsmann
Perikles (5. vorchristliches Jahrhundert),
dem der wichtigste Bildhauer der Hochklassik,
Phidias Aug' in Aug' gegenübersteht.
Dieser präsentiert ihm sein Modell der
Athena
Parthenos. Zwischen beiden sitzt
Polygnot. Von rechts tritt
Iktinos mit einer Tafel hinzu, auf der die
Säulenvorhalle des Parthenon zu erkennen ist.
Auf den linken Seite der zweiten Szene thront in voller Rüstung der König Mazedoniens
Alexander der Große
(4. vorchristliches Jahrhundert). Vor ihm kniet mit einem Löwenfell gewanded –
der traditionell Herkules zugeordneten Bekleidung – der Architekt
Deinokrates, der für den König
kolossale Projekte entwickelte. Durch den Zirkel in seiner linken Hand wird er als Architekt
ausgewiesen. J. G. Schadow verweist jedoch darauf, dass Deinokrates der Erste war, dem die
Erbauung der Stadt Alexandria aufgetragen wurde. Im Hintergrund ist ein Reiterstandbild zu erkennen,
an dem Lysipp arbeitet, so wie auch auf der
rechten Seite der Maler Apelles an einem
Porträt.
Die dritte Szene zeigt auf der linken Seite sitzend (gemäß [3])
Cosimo Medici
(14. und 15. Jahrhundert). Rechts daneben steht
Lorenzo Ghiberti mit der linken
Hand die Paradiestür des Florentiner Baptisteriums – eines seiner berühmtesten
Werke – berührend, gefolgt vom Maler
Masaccio mit einer Zeichenmappe unterm Arm
und dem Baumeister
Filippo Brunelleschi mit einem
Modell der Kuppel des Florentiner Dom in seinen Händen.
Auf Filippo Brunelleschi wird weiter unten noch im Detail eingegangen, hat er doch auch zur
Entwicklung mathematischer Sachverhalte beigetragen. Zuvor soll jedoch die Beschreibung des
rechten Reliefs mit den Hinweisen zur vierten Szene abgeschlossen werden.
Die Orientierung der letzten Szene weicht von der der anderen ab; hier thront
Papst Julius II.
(Pontifikat von 1505-1513) auf der rechten Seite und segnet den, vor ihm knienden
Michelangelo.
Dieser hält in seinen Händen das Modell jener Skulptur von Moses, die später das
Grabmal eben dieses Papstes schmücken sollte. (J. G. Schadow zufolge zeigt sich hierin die
ganze Kraft dieses Künstlers als Bildhauer.) Hinter Michelangelo tritt der Maler und Baumeister
Donato Bramante mit einem Plan für
den Petersdom heran.
Raffael als Repräsentant der Malerei steht
in bescheidener Geste auf der linken Seite.
Florenz
Im Gegensatz zu Perikles, Alexander dem Großen und den Päpsten nimmt sich der
Einflussbereich der
Familie de' Medici
recht bescheiden aus, er ist auf die Stadt Florenz in der Toscana beschränkt.
Die Altstadt von Florenz wird nach wie vor von der
Kathedrale Santa Maria del Fiore
dominiert. So nimmt es nicht wunder, dass fast die ganze dritte Szene des rechten Reliefs (siehe oben)
den „Dom“ (italienisch: Il duomo) betrifft – lediglich Masaccio scheint
mit dem Bau des Doms nicht in direktem Zusammenhang zu stehen.
Sowohl Lorenzo Ghiberti wie auch Filippo Brunelleschi haben als Baumeister an der Kathedrale
gewirkt [5]. Dabei erhält L. Ghiberti hauptsächlich für die Gestaltung von Türen des
Baptisteriums Aufmerksamkeit. Das Baptisterium, die Taufkapelle, wurde in der Frühphase des
Christentums als separates Bauwerk realisiert, da Ungetaufte eine Kirche nicht betreten durften.
In Italien hat sich diese Tradition viel länger erhalten als anderswo, weshalb auch das zur
Florentiner Kathedrale gehörende achteckige Baptisterium als separates Gebäude errichtet
wurde. Dessen Dach ist auf obigem Bild links vom Kirchenbau zu sehen und überragt die umstehenden
Gebäude allerdings nur unwesentlich.
Auf Filippo Brunelleschi geht der Bau der gewaltigen Kuppel zurück, was gerechtfertigterweise
als sein Hauptwerk gilt. Ob seiner Verdienste hat man ihm – gegenüber der südlichen Front der
Kathedrale – ein Denkmal errichtet, das ihn auf „seine“ Kuppel
blickend zeigt.
Filippo Brunelleschi und Paolo dal Pozzo Toscanelli
In der Literatur wird Filippo Brunelleschi als Entdecker der mathematisch konstruierbaren
Perspektive genannt (siehe [1], [4] und [5]). Damit soll er auch den im rechten
Relief am Schadowhaus in derselben Szene dargestellten Maler Masaccio künstlerisch
beeinflusst haben. Allerdings sind schriftliche Ergebnisse nicht überliefert.
Erst ein Jahrhundert später – inzwischen wurde der Buchdruck erfunden –
gab Albrecht Dürer sein Buch
Underweysung der messung ... [2] in den Druck, in dem auch die Perspektive behandelt wird, und
wofür er auch beim Kunstwerk von Karl Hillert
Mathematischer Ort des Monats Dezember 2015,
Kupfertafeln zur Geschichte der Mathematik mit Porträts bedeutender Mathematiker sowie ihrer
Entdeckungen in Berlin-Mitte gewürdigt wird.
Es ist auch gelegentlich zu lesen, dass Filippo Brunelleschi von
Paolo dal Pozzo Toscanelli
in Mathematik unterrichtet wurde (siehe [4], [5]). Das ist allerdings mehr als fraglich,
zwar sind beide Florentiner, lebten auch beide überwiegend in Florenz, aber P. Toscanelli ist
mehr als zwanzig Jahre jünger als F. Brunelleschi und hat sein Studium in Padua 1424 abgeschlossen,
als der Baumeister bereits etliche Jahre am Bau der Domkuppel und anderen Projekten arbeitete.
Es ist allerdings davon auszugehen, dass sich beide gekannt und ausgetauscht haben.
Paolo dal Pozzo Toscanelli wird in Florenz an einem repräsentativen Gebäude an der
Piazza dei Pitti mit einer Gedenktafel geehrt.
Die Inschrift ist in italienischer Sprache verfasst und lässt sich wie folgt ins Deutsche
übersetzen, wobei die Jahresangaben im römischen Zahlensystem mit den uns geläufigen
Ziffern ausgedrückt sind:
Paolo dal Pozzo Toscanelli
Astronom, Mathematiker, Geograf, Arzt, Philosoph,
Initiator des alten Gnomons im Dom,
Universalgelehrter,
denn durch Himmelsbeobachtungen und kosmografischen Studien sah er
die Entdeckung der neuen Welt voraus.
Er lebte 85 Jahre ein unbescholtenes Leben
von 1397 bis 1482
in diesen Häusern der Seinen,
welche die Gemeinde Florenz
mit seinem Namen auszeichnet.
1898
Astronom, Mathematiker, Geograf, Arzt, Philosoph,
Initiator des alten Gnomons im Dom,
Universalgelehrter,
denn durch Himmelsbeobachtungen und kosmografischen Studien sah er
die Entdeckung der neuen Welt voraus.
Er lebte 85 Jahre ein unbescholtenes Leben
von 1397 bis 1482
in diesen Häusern der Seinen,
welche die Gemeinde Florenz
mit seinem Namen auszeichnet.
1898
Auf einen Aspekt, der auf dieser Gedenktafel erwähnt wird, soll noch kurz eingegangen werden.
P. Toscanelli hat in zwei Briefen an
Christoph Columbus diesen ermuntert,
den Seeweg nach Indien gen Westen anzutreten. Das ist wohl mit der blumigen Andeutung bezüglich
der „Entdeckung der neuen Welt“ gemeint.
Im Jahr 1992 (500 Jahre nach der Entdeckung Amerikas durch Cristoforo Colombo –
so sein eigentlicher Name) wurde von der Republik Kuba eine Gedenkmünze herausgegeben, mit der
die Mathematiker und Geographen
Claudius Ptolemäus und
Paolo dal Pozzo Toscanelli gewürdigt werden.
Der in spanischer Sprache verfasste Text der Rückseite der Gedenkmünze kann wie folgt
auf Deutsch ausgedrückt werden:
[CLAUDIUS] PTOLEMÄUS
Die Erde ist rund
Direkter Weg nach Osten den Atlantik kreuzend
[PAOLO DAL POZZO] TOSCANELLI
Die Erde ist rund
Direkter Weg nach Osten den Atlantik kreuzend
[PAOLO DAL POZZO] TOSCANELLI
Zwischen den beiden Texten ist eine Landkarte mit einigen geografischen Angaben
wiedergegeben und außerdem an einer geeigneten Stelle – über dem Namen
Toscanelli – das Ausgabejahr 1992. Zu weiteren Ausführungen sei auf die
Beschreibung der Münze
in der virtuellen Ausstellung
Zeugnisse zu Mathematikern verwiesen.
Referenzen
[1] | arthistoricum.net: Filippo Brunelleschi und die Zentralperspektive | |
[2] | Albrecht Dürer: Underweysung der messung mit dem zirckel un[d] richtscheyt, in Linien ebnen unnd gantzen corporen, Nürnberg, 1525 (kann als Datei im Format PDF [ca. 45 MB] angezeigt/heruntergeladen werden) | |
[3] | Bernhard Maaz: Die Reliefs vom Schadow-Haus; Bild-, Bildungs- und Bildhauerprogramm, hrsg. von der Schadow Gesellschaft Berlin e. V., 2002 Berlin | |
[4] | McTutor History of Mathematics archive: Filippo Brunelleschi | |
[5] | Wikipedia: Filippo Brunelleschi | |
[6] | Wikipedia: Paolo dal Pozzo Toscanelli |
Bildnachweis
Reliefs | Wolfgang Volk, März 2018 | |
Florentiner Dom, Denkmal für F. Brunelleschi und Gedenktafel für P. Toscanelli | Wolfgang Volk, Februar 2011 | |
Münze | Scan |