Mathematischer Ort des Monats Juni 2024
Das Weizenbaum-Institut für eine vernetzte Gesellschaft
in Berlin-Charlottenburg
von
Wolfgang Volk
Das
Weizenbaum-Institut wurde im Jahr 2017 in einem
Verbund der vier Berliner Universitäten, der
Freien Universität, der
Humboldt-Universität, der
Technischen Universität sowie der
Universität der
Künste1), der
Universität Potsdam und zwei weiteren
außeruniversitären Einrichtungen, dem
Fraunhofer-Institut für Offene
Kommunikationssysteme (FOKUS) sowie dem
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB),
gegründet. Seit 2022 ist das Institut selbst Verbundspartner, es wird rechtsgeschäftlich
durch einen gleichnamigen eingetragenen Verein vertreten.2)
Beheimatet ist das Weizenbaum-Institut in der Hardenbergstraße (Ecke Fasanenstraße)
zwischen dem Bahnhof Zoologischer Garten und dem Ernst-Reuter-Platz.
Das Gebäude wurde im Jahr 1951 vom Architekten Gerhard Siegmann für das neu gegründete
Kreditinstitut „Berliner Bank“ errichtet [3]. Es diente dieser Bank bis zum Verkauf und
Abwicklung in den 2010er Jahren als Zentrale.
Die Forschungsinhalte des Weizenbaum-Instituts – im Raum stand auch einmal der
vorläufige Arbeitstitel „Internet-Institut“ – betreffen
„die vernetzte Gesellschaft“, das heißt im interdisziplinären Kontext
alle Themen wie Selbstbestimmung und Nachhaltigkeit im Umgang und mithilfe
digitaler Technik, Bedingungen, Phänomene und Folgen der Digitalisierung, …
Jährlich organisiert das Weizenbaum-Institut unter anderem die Weizenbaum-Konferenz,
auf der Expertinnen und Experten aus verschiedenen Disziplinen die Schnittstellen zwischen Mensch
und Technologie beleuchten. Im Fokus stehen Themen wie Künstliche Intelligenz, digitale Ethik,
Datenschutz, Verantwortung und Nachhaltigkeit sowie sie sozialen Auswirkungen digitaler
Technologien.3)
Interessant in Bezug auf die Forschungsthemen ist darüber hinaus die Benennung dieser
Forschungseinrichtung.
Joseph Weizenbaum –
ganz oben ist er als „Pappkamerad“ im Foyer des Weizenbaum-Instituts zu sehen –
wurde am 8. Januar 1923 in Berlin geboren, besuchte in den 30er-Jahren das Luisenstädtische
Realgymnasium wurde dann an die Knabenschule der Jüdischen Gemeinde verwiesen.
Die jüdische Familie emigrierte 1936 in die Vereinigten Staaten von Amerika, wo J. Weizenbaum
1941 ein Mathematikstudium an der Wayne University in Detroit, Michigan, aufnahm,
dieses nach einer Unterbrechung während des 2. Weltkriegs 1946 fortsetzte und im Jahr 1950
abschloss. In den Folgejahren arbeitete er in verschiedener Funktion an der Entwicklung von
Soft- und Hardware, also rechnernah, bis er ab 1963 am
Massachusetts
Institute of Technology (MIT) als Associate Professor tätig wurde und unter
anderem auch am Aufbau des Arpanet, einem Vorläufer des Internet, mitwirkte.
Seit 1970 hatte er eine Professur für Computer-Wissenschaft inne.
Im Jahr 1966 veröffentlichte Joseph Weizenbaum das Computer-Programm
ELIZA, welches die Möglichkeiten der
Mensch-Maschine-Kommunikation auf der Grundlage der natürlichen Sprache aufzeigen sollte.
Das Programm konnte im Dialog mit dem Nutzer4) verschiedene
Gesprächspartner simulieren – unter anderem auch einen Psychotherapeuten –,
wobei die Analyse der vom Nutzer eingegebenen Texte eher schlicht beschaffen war.
(Das Programm ELIZA würde man heute als Chatbot bezeichnen!)
Joseph Weizenbaum war von der Reaktion der Nutzer überrascht, die sozusagen dem
„Computer“ mit ELIZA intimste Details
anvertrauten.5)
In der Folge wurde er zum Kritiker und überzeugten Skeptiker bezüglich der
verbreiteten „Computer-Gläubigkeit“ und des Technologie-Enthusiasmus.
1976 erschien sein Buch „Computer Power and Human Reason. From Judgment to Calculation.“
das auch in deutscher Übersetzung unter dem Titel „Die Macht der Computer und
die Ohnmacht der Vernunft“ (2023 in mittlerweile 16. Auflage) erschienen ist [2].
1996 kehrte J. Weizenbaum nach Berlin zurück und wohnte unweit der elterlichen
Wohnung in Berlin-Mitte. Er starb am 5. März 2008 an den Folgen eines Schlaganfalls
und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Weißensee bestattet (siehe [1]).
Insofern ist die Wahl von Joseph Weizenbaum als Namensgeber des Instituts in zweierlei
Hinsicht angemessen: Seine Kritik an der unreflektierten Fortschrittsgläubigkeit definiert
in gewisser Hinsicht den Rahmen für das Aufgabenspektrum des Instituts.
Außerdem ist dadurch, dass sein Leben in Berlin begann wie auch endete, der lokale Bezug
gegeben.
Im Jahr 2023 wäre Joseph Weizenbaum 100 Jahre alt geworden. In diesem Jubiläumsjahr
würdigte das Weizenbaum-Institut seinen Namensgeber mit einer Reihe von Veranstaltungen
(siehe den Rückblick auf das
Jubiläumsjahr W\100).
Referenzen
[1] | Wolfgang Volk: Gräber für Leopold Löwenherz und Joseph Weizenbaum in Berlin-Weißensee, Mathematischer Ort des Monats November 2021 | |
[2] | Joseph Weizenbaum: Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, 16. Auflage, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2023, ISBN 978-3-518-27874-1 | |
[3] | Wikipedia: Berliner Bank | |
[4] | Wikipedia: Weizenbaum-Institut |
Bildnachweis
alle Fotos | Wolfgang Volk, Berlin, Mai 2024 |
1) Der wohl bekannteste Standort der
Universität der Künste mit dem Konzertsaal befindet unmittelbar neben dem
Weizenbaum-Institut, man muss gerade mal die Fasanenstraße
überqueren. Auch der Campus der Technischen Universität ist fußläufig
in wenigen Minuten erreichbar.
2) Für die Details zur organisatorischen Struktur,
die sich im Laufe der Zeit ja auch ändern kann, sei auf die Angaben auf der
Homepage des Instituts verwiesen.
3) Einige Formulierungen sind der Homepage des
Weizenbaum-Institurs (URL:
https://www.weizenbaum-institut.de/)
entnommen.
4) Hier sei das generische Maskulinum gestattet,
der englischsprachige Begriff User gilt für dreierlei Geschlecht: männlich,
weiblich und divers.
5) Selbst seine Sekretärin, die mit seinen Arbeiten
vertraut war, will er mit ELIZA mal „erwischt“ haben. (So erzählte er es bei
einem Vortrag am Hahn-Meitner-Institut Anfang der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts,
bei dem der Autor als Zuhörer zugegen war.)