Mathematiker des Monats November 2016
John von Neumann (1903-1957)
von
Ulf Hashagen
Bei der Suche nach den bedeutendsten Mathematikern des 20. Jahrhunderts stößt man schnell auf den Namen John von Neumann.
In der Wissenschaftsgeschichte besteht heute kaum noch ein Zweifel daran, dass Neumann auch durch seine Vielseitigkeit und
die beispiellose Weite seiner wissenschaftlichen Leistungen zu den ganz großen Wissenschaftlerfiguren gehört.
Allein seine grundlegenden Arbeiten in zahlreichen Gebieten der reinen Mathematik – in der mathematischen Logik und Mengenlehre,
in der Maßtheorie, in der Theorie der topologischen Gruppen und in der Spektraltheorie von Operatoren in Hilberträumen –
sichern Neumann einen Platz in der Mathematikgeschichte. Darüber hinaus hat er herausragende Leistungen in der theoretischen Physik –
vor allem in der Axiomatisierung der Quantenmechanik und in der Ergodentheorie – vorzuweisen und
gilt als der Begründer der Spieltheorie in den Wirtschaftswissenschaften.
Mit seinen umfassenden Beiträgen zum Computing ist er wohl der Wissenschaftler,
der die Entwicklung und Anwendung des Computers in den 1940er und 1950er Jahren am meisten beeinflusst hat –
am bekanntesten sind wohl die mit seinem Namen verbundenen Beiträge zur Computerarchitektur
(von-Neumann-Architektur).
Auch wenn Neumann in der Breite seiner Beiträge zur reinen Mathematik nicht an
David Hilbert heranreicht, sind seine Leistungen in der angewandten Mathematik mit
Carl Friedrich Gauß vergleichbar.
Der als Sohn eines jüdischen Rechtsanwalts und Bankiers in Budapest geborene Neumann János Lajos trat schon in frühem Kindesalter
als Wunderkind mit einer Reihe von außergewöhnlichen Begabungen hervor. Auf Wunsch seines Vaters studierte er ab 1921 unter dem Namen
Johann Ludwig von Neumann an der
Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin Chemie, und war gleichzeitig noch an der
Universität Budapest für Mathematik immatrikuliert.
Neumann besuchte in Berlin aber hauptsächlich mathematische Vorlesungen und beeindruckte Studienkollegen sowie Professoren sehr schnell mit
seinen mathematischen Fähigkeiten und seiner beängstigend raschen Auffassungsgabe, die es ihm erlaubte,
in Vorlesungen und Seminaren mit ad hoc entwickelten Lösungsvorschlägen oder neuen Beweisen hervorzutreten.
1923 wechselte Neumann an die
ETH Zürich, wo er 1926 das Diplom-Examen in Chemie ablegte.
Im gleichen Jahr promovierte er an der Universität Budapest in Mathematik und habilitierte sich schon ein Jahr später im Alter von 24 Jahren an der
Berliner Universität in Mathematik. Dabei erhielt Neumann von den Berliner Mathematikern
Erhard Schmidt und
Issai Schur brillante Gutachten – Neumann wurde als „ganz außerordentliche Begabung“ charakterisiert,
die zu „unbegrenzten Hoffnungen“ berechtige.
Obwohl Neumann sich in den nächsten Jahren zu einem der wissenschaftlich kreativsten und produktivsten Mathematiker entwickelte,
erhielt er nie einen Ruf auf eine Professur an einer deutschen Universität oder Technischen Hochschule.
Als der noch nicht 30jährige Neumann im Februar 1933 einen Ruf an das
Institute for Advanced Study (IAS) in Princeton in den USA annahm hatte er mehr als vierzig zum Teil grundlegende wissenschaftliche Artikel sowie
ein Epoche machendes Buch über
Mathematische Grundlagen der Quantenmechanik publiziert. Es fällt schwer, diesen Umstand nicht als Zeichen für eine Krise des deutschen Wissenschaftssystems in der späten
Weimarer Republik anzusehen, denn von 1927 bis 1932 hatten mehr als zwanzig Mathematiker ein Ordinariat an einer deutschen Hochschule erhalten –
während eine Ausnahmegestalt wie Neumann weiterhin Privatdozent blieb.
Neumann sollte seine gesamte weitere wissenschaftliche Karriere am IAS in Princeton bleiben,
wo er sich unter dem Namen John von Neumann sich zu einer der führenden amerikanischen Wissenschaftlerfiguren entwickelte.
Die Berufung nach Princeton verhalf Neumann – im Gegensatz zu vielen seiner Mathematikerkollegen,
die die nationalsozialistische Wissenschaftspolitik nach 1933 in die Emigration trieb – zu einer komfortablen Position im amerikanischen Wissenschaftssystem.
Er etablierte sich bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges mit weiteren Arbeiten zur reinen Mathematik und theoretischen Physik in der amerikanischen Scientific Community.
Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges stellte er seine wissenschaftliche Expertise verschiedenen Militärstellen zur Verfügung und arbeitete unter anderem am
Manhattan Project zum Bau der amerikanischen Atombombe mit.
Büste von John von Neumann im Arithmeum
Mit den Veränderungen des amerikanischen Wissenschaftssystems unter dem Einfluss des Kalten Krieges entwickelte Neumann sich zu einem der
einflussreichsten wissenschaftlichen Politikberater der amerikanischen Regierung. Er zählte zu den politischen Hardlinern, die den Bau der
Wasserstoffbombe als Abschreckungsstrategie gegen die UdSSR vorantrieben und soll angeblich sogar einen Präventivkrieg gegen die Sowjetunion empfohlen haben.
Neumanns wissenschaftliche Interessen hatten sich schon im Krieg von der reinen Mathematik auf das Gebiet der
Spieltheorie und der Mathematisierung der Wirtschaftswissenschaften sowie zum Computing hin verlagert –
die Konzeption und Konstruktion der neuen elektronischen Computer sowie vor allem auch deren Nutzung für bis dahin unangreifbare
nichtlineare mathematische Probleme in den Naturwissenschaften standen im Zentrum seines wissenschaftlichen Wirkens der späten 1940er sowie der 1950er Jahre.
John von Neumann starb am 8. Februar 1957 im Alter von 53 Jahren an Krebs – die Krankheit war offenbar durch seine Teilnahme an Nukleartests ausgelöst worden.
Referenzen
[1] | William Aspray: John von Neumann and the origins of modern computing, MIT Press, Cambridge Mass., 1990, ISBN 978-0-262-01121-2 | |
[2] | Ulf Hashagen: Kein Platz für das „Genie“: John von Neumann und das deutsche Wissenschaftssystem, in: Joseph W. Dauben et al. (Hrsg.): Mathematics Celestial and Terrestrial, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, 2008, S. 571 - 587, ISBN 978-3-8047-2482-2 | |
[3] | Ulf Hashagen: Die Habilitation von John von Neumann an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin: Urteile über einen ungarisch-jüdischen Mathematiker in Deutschland im Jahr 1927, Historia Mathematica 37 (2010), S. 242 - 280 | |
[4] | Steve J. Heims: John von Neumann and Norbert Wiener. From mathematics to the technologies of life and death, MIT Press, Cambridge Mass., 1980 | |
[5] | Robert Leonard: Von Neumann, Morgenstern, and the creation of game theory: from chess to social science, 1900-1960, Cambridge University Press, Cambridge, 2010, ISBN 978-0-521-56266-9 | |
[6] | Norman Macrae: John von Neumann. Mathematik und Computerforschung – Facetten eines Genies, Birkhäuser, Basel, 1994, ISBN 978-3-0348-6065-9 |
Bildnachweis
Porträt | Quelle, lizenziert unter Public domain | |
Gedenktafeln | Wolfgang Volk, Berlin, Gedenktafeln am Geburtshaus von John von Neumann in Budapest | |
Denkmal | Wolfgang Volk, Berlin, Denkmal für John von Neumann in Budapest | |
Büste | Wolfgang Volk, Berlin, Büste von John von Neumann im Arithmeum in Bonn |