Mathematiker des Monats November 2018
Karl (Karel, Charles) Löwner (Loewner) (1893-1968)
von Martina Bečvářová und Karin Reich
 
Karl Loewner
Karl Löwner in Stanford (1963)
 
Lány u Rakovníka (deutsch: Lana bzw. früher Lahn), ca. 30 km westlich von Prag gelegen, ist berühmt für sein Barockschloss, das den Präsidenten der Tschechischen Republik als Sommersitz dient. Karl Löwner wurde am 29. März 1893 in Lány geboren. Sein Vater Zikmund (Zigmund, Zygmund, Sigmund) Löwner (1854-1906) war ein Ladenbesitzer, seine Mutter Jenny (1864-1929) war eine geborene Kraus. Die jüdische Familie war wohlhabend, sie sprach tschechisch und hatte 9 Kinder, 4 Söhne und 5 Töchter. Karl war der dritte Sohn und das sechste Kind, sein Vater war ein Freund der deutschen Kultur.
Karl besuchte die Grundschule in Lány, wechselte aber, einem Wunsch seines Vaters folgend, an die deutsche Schule in Prag. 1904/1905 besuchte er das k. k. deutsche Staatsgymnasium in Smichow, ein humanistisches Gymnasium, in den Jahren 1905-1912 das Staats-Gymnasium in der Prager Altstadt, an dem der Unterricht in deutscher Sprache stattfand und er seine Gymnasialzeit mit dem Reifezeugnis beendete.
Die Universität Prag wurde 1348 gegründet und trug von 1654 bis 1920 den Namen Karl-Ferdinands-Universität. Im Jahre 1882 wurde die Universität zweigeteilt – in eine mit deutscher und in eine mit tschechischer Unterrichtssprache. Karl Löwner begann im Jahre 1912 sein Studium an der deutschen Karl-Ferdinands-Universität mit dem Ziel, Lehrer zu werden. Dort besuchte er Vorlesungen in Mathematik, Physik, Astronomie, Meteorologie und Chemie. Im Fach Mathematik waren seine Lehrer: Georg Alexander Pick (1859-1942), Gerhard Kowalewski (1876-1950), Wilhelm Blaschke (1885-1962) und Paul Georg Funk (1886-1969). Aus gesundheitlichen Gründen blieb Karl Löwner vom Kriegsdienst fast ganz verschont.
Im Jahre 1916 wurde er Mitglied des Mathematischen Kränzchens in Prag und hielt dort zahlreiche Vorträge. Im darauffolgenden Jahr vollendete er seine Doktorarbeit „Untersuchungen über die Verzerrung bei konformen Abbildungen des Einheitskreises |z| < 1, die durch Funktionen mit nicht verschwindender Ableitung geliefert werden“ (siehe [8]) – sein Doktorvater war Georg Pick, Gerhard Kowalewski fungierte als Zweitgutachter. In den mündlichen Prüfungen erhielt er die Note ausgezeichnet. Im Jahr 1919 unterzog sich Löwner ferner dem Lehramtsexamen für Mathematik und Physik, das er mit Auszeichnung bestand. Im selben Jahr beendete er darüber hinaus auch einen zweijährigen Kurs für Versicherungsmathematik an der Deutschen Technischen Hochschule in Prag. Die Deutsche Technische Hochschule war 1806 gegründet worden, seit 1869 gab es in Prag auch eine Tschechische Technische Hochschule. Im Jahre 1917 wurde Karl Löwner Assistent an der K. K. Deutschen Technischen Hochschule, die von 1918-1945 nur noch Deutsche Technische Hochschule hieß; diese Stelle hatte er bis 1922 inne.
Promotionsurkunde
Promotionsurkunde von Karl Löwner
 
Bereits in seiner prager Zeit konnte er im Jahr 1919 zwei Arbeiten publizieren:
a) „Über Extremumsätze bei der konformen Abbildung des Äußeren des Einheitskreises“ (siehe [9]),
b) zusammen mit Philip Frank: „Eine Anwendung des Koebeschen Verzerrungssatzes auf ein Problem der Hydrodynamik“ (siehe [5]).
1921 nahm Löwner an der Tagung der Deutschen Mathematiker-Vereinigung teil, die vom 18. bis zum 24. September in Jena tagte. Dort hielt er einen Vortrag zum Thema „Über die Erzeugung von schlichten konformen Abbildungen aus infinitesimalen“.
Lebenslauf
Lebenslauf von Karl Löwner (1922)
 
Es war Ludwig Bieberbach (1886-1982), der dafür sorgte, dass Karl Löwner an die Friedrich-Wilhelms-Universität nach Berlin kam. Löwner wurde am 1. April 1922 Assistent bei Issai Schur (1875-1941), da Bieberbach schon einen Assistenten hatte. Außerdem wurde Löwner 1922 Mitglied der Berliner Mathematischen Gesellschaft, wo er mehrere Vorträge hielt (zwei im Jahre 1922 und einen im Jahre 1924). Was Löwner nunmehr noch fehlte, war die Habilitation; am 4. Juli 1922 stellte er einen entsprechenden Antrag. Seine Habilitationsschrift trug den Titel „Untersuchungen über schlichte konforme Abbildungen des Einheitskreises“ – der Hauptgutachter war Bieberbach, der Zweitgutachter Issai Schur. Das Thema von Löwners Probevortrags lautete: „Gruppentheoretische Gesichtspunkte in der Funktionentheorie“. Seine Probevorlesung hatte den Titel: „Funktionentheoretische Extremalprobleme“. In seiner Habilitationsschrift, die in den Mathematischen Annalen veröffentlicht wurde, lieferte Löwner den ersten bedeutenden Beitrag zur sogenannten Bieberbachschen Vermutung. Löwners Ergebnis wurde unter der Bezeichnung Lemma von Löwner bekannt und berühmt. Seit dem 9. Mai 1923 war Löwner Privatdozent, sein Arbeitsgebiet war auch weiterhin die komplexe Analysis. Zu seinen später als bedeutende Mathematiker hervorgetretenen Studenten in Berlin zählen unter anderem Hans Freudenthal (1905-1990) und Moritz Werner Fenchel (1905-1988). Letzterer wusste zu berichten: „[Löwners] Vorlesungen galten als schwierig. Sie waren äußerst wohl durchdacht, aber für die Sachen, die ihm einfach schienen, opferte er nicht viel Zeit. Das war aber kein großes Unglück. Mit einzigartiger Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit diskutierte er mit seinen treuen Zuhörern, zu denen ich gehörte, alles was sie bekümmerte und zwar ohne Zeitbegrenzung von seiner Seite. Er war ein hochbegabter Mathematiker, was vielleicht nicht unmittelbar ersichtlich ist, da er verhältnismäßig wenig publiziert hat. Zu schreiben liebte er nicht“ ([3, S. 149f]). An der Universität Berlin las Löwner über kontinuierliche Gruppen, Differentialgeometrie, lineare Differentialgleichungen im komplexen Gebiet, Potentialtheorie und Funktionentheorie ([2], S. 485).
Im Jahr 1928 erhielt Löwner seinen ersten Ruf und zwar als außerplanmäßiger Professor an die Universität Köln. Dort blieb er allerdings nur zwei Jahre, 1930 folgte er einem Ruf als außerordentlicher Professor an seine Alma Mater, der Deutschen Universität Prag, wo er 1934 zum ordentlichen Professor ernannt wurde.
Am 22. März 1934 heiratete Karl Löwner die in Breslau geborene Sophie Elisabeth Alexander (1898-1956), die Tochter Marianna (*9.8.1936) war das einzige Kind des Ehepaars. In Prag stellten sich die ersten Doktoranden ein; insgesamt betreute Löwner damals vier Doktoranden, darunter den in Riga geborenen Lipman Bers (1914-1993), mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband.
Bereits am 29. September 1938 sorgte das Dritte Reich dafür, dass die sudetendeutschen Gebiete von der Tschechoslowakei abgespalten wurden. Am 14./15. März 1939 besetzte die deutsche Wehrmacht Böhmen und Mähren, dieses Gebiet wurde nun zum Protektorat bzw. Reichsprotektorat erklärt. Karl Löwner wurde entlassen, vier von seinen Geschwistern kamen durch den Holocaust ums Leben.
Dank der Unterstützung von John von Neumann (1903-1957), den Löwner in Berlin kennengelernt hatte, und Harald Bohr (1887-1951) konnte die Familie Löwner nach Großbritannien entkommen, am 1. September 1939 brach der Zweite Weltkrieg aus. Dennoch gelang es der Familie Löwner, in die USA zu emigrieren, wobei sie am 31. Oktober 1939 in New York landete. Unterstützt von Hermann Weyl (1885-1955) konnte Löwner eine Stelle an der 1798 gegründeten staatlichen University of Louisville in Kentucky antreten, er wirkte dort ab 1939 als Lecturer und ab 1942 als Assistant Professor. 1944 wechselte er an die 1764 gegründete private Brown University in Providence, Rhode Island, und 1945 an die private, 1870 gegründete Syracuse University im Bundesstaat New York, wo er zunächst Associate Professor war und 1946 Professor wurde. Von 1945 bis 1948 wirkte auch Lipman Bers an der Syracuse University – die Familien Löwner und Bers wohnten in demselben Haus. Im Jahre 1951 nahm Löwner einen Ruf an die hochrenommierte, 1891 gegründete, private Stanford University in Kalifornien an, wo er 1963 emeritiert wurde. Löwner verbrachte in den USA sehr fruchtbare Jahre, er publizierte zahlreiche Abhandlungen und betreute dort mehr als zwanzig Doktoranden. Er starb am 8. Januar 1968 in seinem Wohnort Los Altos in Kalifornien. Im Jahre 1988 erschienen in Boston Löwners „Collected Papers“, deren Herausgabe Lipman Bers besorgte.
 

Referenzen

[1]   Martina Bečvářová, Ivan Netuka: Karl Löwner and His Student Lipman Bers – Pre-war Prague Mathematicians, European Mathematical Society, Zürich, 2015, ISBN: 978-3-03719-144-6
[2]   Heinrich Begehr (Hrsg.): Mathematik in Berlin – Geschichte und Dokumentation, 1. Halbband, Shaker Verlag, Aachen, 1998, ISBN: 978-3-8285-4225-1
[3]   Heinrich Begehr (Hrsg.): Mathematik in Berlin – Geschichte und Dokumentation, 2. Halbband, Shaker Verlag, Aachen, 1998, ISBN: 978-3-8285-4226-8
[4]   Kurt-Reinhard Biermann: Die Mathematik und ihre Dozenten an der Berliner Universität 1810–1933, Akademie Verlag, Berlin 1988, ISBN: 978-3-05500402-5
[5]   Philipp Frank, Karl Löwner: Eine Anwendung des Koebeschen Verzerrungssatzes auf ein Problem der Hydrodynamik, Mathematische Zeitschrift 3 (1919), S. 78 - 86
[6]   Hans Freudenthal: Loewner, Charles (Karl), in: C. C. Gillispie (Hrsg): Dictionary of Scientific Biography Bd. 8, Scribner, New York, 1973, S. 457 - 459
[7]   Charles Loewner: Collected Papers, Hrsg. von Lipman Bers, Birkhäuser, Boston u. a., 1988, XII+516 S., ISBN: 978-3-76433377-5
[8]   Karl Löwner: Untersuchungen über die Verzerrung bei konformen Abbildungen des Einheitskreises |z| < 1, die durch Funktionen mit nicht verschwindender Ableitung geliefert werden, in: Berichte über die Verhandlungen der königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig. Mathematisch-physikalische Klasse 69 (1917), S. 89 - 106
[9]   Karl Löwner: Über Extremumsätze bei der konformen Abbildung des Äußeren des Einheitskreises, Mathematische Zeitschrift 3 (1919), S. 65 - 77
[10]   Karl Löwner: Über die Erzeugung von schlichten konformen Abbildungen aus infinitesimalen, Jahresbericht der DMV 30 (1921), 2. Abt., S. 77 - 78
[11]   Karl Löwner: Untersuchungen über schlichte konforme Abbildungen des Einheitskreises I, Mathematische Annalen 89 (1923), S. 103 - 121
 

Bildnachweis

Porträt,
Promotionsurkunde
und Lebenslauf
  dankbarerweise durch Martina Bečvářová beigestellt und zur Wiedergabe in diesem Artikel freigegeben