Mathematischer Ort des Monats November 2021
Gräber für Leopold Löwenherz und Joseph Weizenbaum in Berlin-Weißensee
von Wolfgang Volk
 
In den Beiträgen zu den mathematischen Orten haben sich die Autoren bemüht, möglichst alle Grabstätten von Mathematikern oder mit mathematischem Bezug eines Friedhofs gemeinsam zu beschreiben. Diesem Ansatz steht einerseits entgegen, dass sich durchaus Änderungen ergeben können, anderereits auch, dass das Wissen um solche Gräber wächst.
Mathematischer Ort des Monats August 2016 war das Grab des Mathematikers Edmund Landau auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee (Herbert-Baum-Str. 45, 13088 Berlin). Dieser Friedhof gilt als der größte Jüdische Friedhof in Europa. Nachstehend werden noch die Gräber zweier weiterer Mathematiker beschrieben, die ebenfalls auf diesem Friedhof bestattet sind.
Bereits im Eingangsbereich liegt rechts (vom Betrachter aus gesehen, wenn er oder sie den Friedhof betritt) das Gräberfeld A1, in dessen erster Reihe1) sich das Grab von Leopold Löwenherz befindet (viertes Grab von rechts).
Grab von Leopold Loewenherz
Grab für Leopold Löwenherz
 
Leopold Löwenherz wurde in Czarnikau (heute: Czarnków, Polen) knapp 60km nordnordwestlich von Posen (heute Poznan, Polen) geboren. Nach dem Abitur in Posen studierte er Mathematik und Physik an der Berliner Universität. 1870 wurde er mit seiner Dissertation „De curvis tangentialibus curvarum algebraicarum ordinis n.“ (auf deutsch: „Über Tangentialkurven algebraischer Kurven der Ordnung n“) einem Thema der synthetischen Geometrie bei Ernst Eduard Kummer und Karl Weierstraß promoviert. Berufliche Karriere machte L. Löwenherz allerdings als Physiker.
Der Text auf dem Grabstein ist teilweise kaum noch zu entziffern, er lautet:
Hier ruht,
schmerzlich beweint
von den Seinen,
Dr. Leopold
Loewenherz

Kaiserl
[icher] Regierungsrat,
Direktor bei der Physikalisch-
Technischen Reichsanstalt,
geb
[oren] in Czarnikau 31. Juli 1847,
gest
[orben] in Berlin 30. Oktober 1892.
(Abgekürzte Worte sind ausgeschrieben, die ergänten Wortteile sind in eckigen Klammern gesetzt.) Auffällig – aber durchaus üblich – ist, dass der Titel ebenso wie dessen Abkürzung Dr. als Fremdwort in Antiqua gesetzt ist, während der restliche Text in Frakturbuchstaben2) gehalten ist.
Das Gräberfeld Z1 befindet sich unmittelbar hinter dem Gebäude im Eingangsbereich des Friedhofs. Dort ist der Mathematiker und Computerwissenschaftler Joseph Weizenbaum bestattet. J. Weizenbaum wurde 1923 in Berlin geboren, emigrierte 1936 mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten von Amerika, studierte dort Mathematik und wurde Professor für Computerwissenschaft am Massachusetts Institute of Technology (MIT). 1996 kehrte er wieder dauerhaft3) nach Berlin zurück.
Joseph Weizenbaum et al.
Grab für Joseph Weizenbaum
 
J. Weizenbaum war in den Kreisen der Informatiker wegen seiner kritischen Haltung zur landläufigen Computer-Gläubigkeit wohlbekannt. Die Steine auf seinem Grabstein zeugen von der Verehrung, die ihm immer noch entgegengebracht wird. Auf dem Grabstein selbst ist ein Davidstern mit hebräischen Schriftzeichen zu erkennen, darunter der Name sowie die Lebensdaten in englischer Sprache und ungewöhnlicher Notation:
Joseph Weizenbaum
Born in Berlin, Januar 8.1923
Died in Berlin, March 5.2008

Danksagung

Meinen Dank möchte ich Jürgen Hahn zum Ausdruck bringen, der mich am 26. Juli 2020 zu den oben beschriebenen Grabstätten führte. Dankbar bin auch Herrn Prof. Eberhard Knobloch für die Übersetzung des Titels der Dissertation L. Löwenherz' ins Deutsche.
 

Bildnachweis

alle Bilder   Wolfgang Volk, Berlin, Juli 2020
 

1) Auf dem Übersichtsplan des Friedhofs ist die erste Reihe der Gräberfelder A1 und G1 als „Ehrenreihe“ ausgewiesen.
2) Der Begriff „Fraktur“ wird umgangssprachlich als Synonym für die gebrochenen Schriften verwendet, was nicht verwunderlich ist, bedeutet dieses lateinische Wort schlichtweg: „Bruch“. Die Schrift „Fraktur“ gehört zwar zu den gebrochenen Schriften, besitzt allerdings eine Charakteristik, die auf dem Grabstein gerade nicht verwendet wird.
3) Der Autor hatte das Glück Joseph Weizenbaum während dessen Gastaufenthalts am Hahn-Meitner-Institut in den frühen 1980er-Jahren kennenzulernen – wenige Jahre nach dem Erscheinen seines kritischen Buchs „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft“.