Mathematischer Ort des Monats Februar 2022
Allegorien vor dem Deutschen Historischen Museum in Berlin-Mitte
von
Wolfgang Volk
Den Bau eines Zeughauses1) „allda“ hat bereits
Kurfürst
Friedrich Wilhelm
(1620-1688, später Großer Kurfürst genannt) im Jahr 1667 in seinem
politischen Testament verfügt [7]. Um „allda“ einordnen zu können, muss man
wissen, dass die brandenburgischen Kurfürsten, später auch die preußischen
Könige und deutschen Kaiser das
Berliner Schloss (oft auch schlicht
als Stadtschloss bezeichnet) auf der Spreeinsel2)
in der historischen Mitte Berlins seit 1443 als Hauptresidenz nutzten.
So erklärt sich die Lage des in den Jahren 1695 – 1706 im Stil des Barock
errichteten Zeughauses in unmittelbarer Nähe des jüngst (August 2021) eröffneten
Humboldt-Forums, das an der Stelle der 1950
gesprengten Reste des Stadtschlosses mit weitgehender Rekonstruktion dessen historischer Fassade,
in Sichtweite liegt.
An der Errichtung des Zeughauses waren sukzessive mehrere Baumeister beteiligt, doch darf es
letztlich als das Werk von
Jean de Bodt (1670-1745) gelten,
der ab Herbst 1699 die Bauleitung innehatte. Im Jahr 1706 schloss der französische Bildhauer
Guillaume Hulot die Gestaltung des
Hauptportals mit dem vergoldeten Brustbild des preußischen Königs Friedrich I. ab.
Erst etwa 25 Jahre danach waren die Bauarbeiten wirklich abgeschlossen und das Zeughaus seiner
Bestimmung übergeben.
Die vier Allegorien, die beiderseits des Haupteingangs stehen, sind ebenfalls ein Werk
Guillaume Hulots. Sie repräsentieren vier Wissenschaften, denen in der sogenannten
Kriegskunst eine besondere Bedeutung zukommt. Es sind dies (von links nach rechts, bei Blickrichtung
zum Gebäude) die Mechanik, die Geomtrie, die Arithmetik und die Ballistik.
Die Allegorien werden durch Frauengestalten symbolisiert, denen jeweils noch eine Putte
zugeordnet ist. Diese Figuren sind mit Gerätschaften ausgestattet, die jeweils eine
Beziehung zum betreffenden Fachgebiet herstellen und so erst eine Zuordnung ermöglichen.
So sind bei der Allegorie zur Mechanik ein zangenähnliches Instrument und eine Kurbel
an einem Gehäuse zu erkennen, mit denen Bezüge zum
Hebelgesetz und dem Begriff des
Drehmoments hergestellt werden.
Die Frauengestalt zur Geometrie hält einen klassischen Winkelmesser in der linken Hand,
der Zeigefinger ihrer rechten Hand deutet auf ein entrolltes Pergament, das von der Putte
gehalten wird. Interessant dabei ist, dass darauf Zeichnungen zu erkennen sind, die
teilweise nachstehend erläutert werden sollen.
Ganz oben ist die Figur zum
Satz des Pythagoras' zu
erkennen, der sogar der Grundgedanke zu dessen
Beweis nach
Euklid (zweifache Anwendung des Kathetensatzes) entnommen werden kann. Darunter sind
drei kleine Kreise mit eingezeichnetem Durchmesser zu sehen, deren Bedeutung sich nicht
unmittelbar erschließt und Raum für Spekulationen bietet. In der Folge ist
auch noch ein spitzwinkliges Dreieck mit Umkreis und vier eingezeichnete Radien zu erkennen.
Warum einer dieser Radien über den Mittelpunkt hinaus verlängert wiedergegeben
ist, muss an dieser Stelle unbeantwortet bleiben. Die Zeichnung erinnert an jene in [6] zum
Beweis des Sehnentangentenwinkelsatzes. Auf früheren Aufnahmen (siehe [5]) ist
eine weitere geometrische Figur (Rhomboid mit eingezeichneter Diagonale) zu erkennen, die
heute nicht mehr zu sehen ist. (Auch hat sich die Handhaltung der Frauenfigur geändert,
vergleiche [2, S. 202].)
Die Frauengestalt zur Arithmetik hält ein Tableau auf dem eine Tabelle und Zifferngruppen
zu erkennen sind. Bei genauerem Hinsehen fällt allerdings noch ein weiteres Detail an der
linken Seite der Skulptur auf – eine Tabelle mit fünf Spalten, wobei die zweite
von links keine Zeilenstruktur aufweist und auch keine Einträge besitzt. Die erste Spalte
zeigt die Ziffern beziehungsweise die Zahlen von 1 bis 9 in aufsteigender Folge, in der letzten
Spalte steht jeweils das Doppelte des Werts der ersten Spalte. Mysteriös bleiben die Inhalte
der dritten und vierten Spalte, wobei diese als einzige so etwas wie eine Spaltenüberschrift
besitzen, einen Kreis (oder die Ziffer 6, so genau ist das nicht zu erkennen) beziehungsweise
die Figur eines Quadrats. Die Felder dieser beiden Spalten sind diagonal geteilt, und enthalten
größtenteils Ziffernpaare, deren Bedeutung dem Betrachter verschlossen bleiben
dürfte.
Bei der Allegorie zur
Ballistik sind vergleichsweise modern
anmutende Projektile zu sehen (in der linken Hand der Frauengestalt und auf dem Boden).
Die Putte schwingt einen
Klüpfel möglicherweise zur
Verdichtung von Schießpulver. Rechts ist ein Topf zu erkennen, aus dem Flammen schlagen.
Die Luftwirbel (Rauch) sind besonders plastisch herausgearbeitet.
Dass die Ballistik auf mathematischen Grundlagen aufbaut, dürfte leicht einzusehen sein.
Ein weiteres militärisches Fachgebiet, für das mathematische Kenntnisse von Bedeutung
sind, ist die sogenannte Fortifikation, die Konzeption von Schutz- und Verteidigungsanlagen
(vergleiche [4, 1. Abs.]).
Zum Bestand des Zeughauses, das seit dem Jahr 2003 das
Deutsche Historische Museum beherbergt, gehören zwei
weitere Skulpturen von
Reinhold Begas (1831-1911),
von denen eine eine Allegorie für die Fortifikation darstellt (vergleiche [1]).
(Das Deutsche Historische Museum ist allerdings überwiegend – und
insbesondere die Dauerausstellung – bis auf Weiteres für den Publikumsverkehr
geschlossen.)
Referenzen
[1] | Rudolf Baierl [unter dem Pseudonym: Redaktion]: Ein mathematikhistorischer Ausflug mit E. Knobloch, Forum der Berliner Mathematischen Gesellschaft 27 (November 2013), S. 28-34, ISBN: 978-3-940170-27-9 | |
[2] | Iris Grötschel: Das mathematische Berlin – Historische Spuren und aktuelle Szene, Berlin Story Verlag, Berlin, 2008, ISBN: 978-3-929829-92-1 | |
[3] | Eberhard Knobloch: 100 Jahre Mathematik in Berlin, Mitteilungen der Deutschen Mathematiker-Vereinigung 9.4 (2001), S. 32-38 | |
[4] | Karin Reich: Georg Friedrich von Tempelhoff (1737-1807), Beitrag zum Mathematiker des Monats August 2021 | |
[5] | Wolfgang Volk: Allegorien vor dem Zeughaus und Exponate des Deutschen Historischen Museums in Berlin, Exponat der virtuellen Ausstellung Zeugnisse zu Mathematikern | |
[6] | Wikipedia: Kreiswinkel / Sehnentangentenwinkelsatz | |
[7] | Wikipedia: Zeughaus (Berlin) |
Bildnachweis
alle Fotos | Wolfgang Volk, Berlin, September 2021 |
2) Der nördliche Teil wird heute Museumsinsel
genannt und zählt seit 1999 zum UNESCO-Weltkulturerbe.