Mathematischer Ort des Monats Juni 2023
Das Geodätische Institut auf dem Telegrafenberg
von Wolfgang Volk
 
Institutsgebaeude
Das Geodätische Institut
 
Im Jahr 1870 wurde das Königlich Preußische Geodätische Institut auf Antrag von Johann Jecob Baeyer (1794-1885) gegründet und auch seinem Direktorat unterstellt. Nach dessen Ableben konnte Friedrich Robert Helmert, der damals das Fach Geodäsie an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule zu Aachen vertrat, als Nachfolger J. J. Baeyers gewonnen werden.1) Unter der Ägide von F. R. Helmert wurde in den Jahren 1889-1892 das – oben wiedergegebene – Backsteingebäude im klassizistischen Stil auf dem Telegrafenberg errichtet, welches als Dienstsitz des Königlich Preußische Geodätischen Instituts konzipiert wurde. Dabei war die Einbeziehung der Dienstwohnung des Institutsdirektors vorgesehen, was auch dem Modell der Institute der 1911 gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. in Berlin-Dahlem entspricht.2)
Heute beherbergt das Gebäude Teile des Departments Geodäsie des Deutschen GeoForschungsZentrums (GFZ) und die zentrale Bibliothek des Wissenschaftsparks Albert Einstein.
Im Treppenhaus des historischen Geodätischen Instituts befinden sich in drei Nischen die Büsten von (in alphabetischer Reihenfolge) J. J. Baeyer, Friedrich Wilhelm Bessel (1784-1846) und dessen „Lehrer“3) Carl Friedrich Gauß (1777-1855).
Die Verdienste von J. J. Baeyer für die Preußische Landesvermessung sind unstrittig. Darüber hinaus entwarf und realisierte er das internationale Projekt der Mitteleuropäischen Gradmessung, was unter anderem dazu führte, dass das Zentralbüro seinen Sitz im Königlichen Preußischen Geodätischen Institut hatte (vergleiche [1], [2→Ereignisse→Gradmessung]).
Sowohl C. F. Gauß wie auch F. W. Bessel werden am ehesten als Mathematiker und Astronomen wahrgenommen. Dass beide hier gewürdigt werden hat durchaus seine Berechtigung, waren doch beide auch mit Vermessungsarbeiten betraut – Ersterer mit keinem geringeren Auftrag als dem, die Landesvermessung des Königreichs Hannover durchzuführen. F. W. Bessel hatte ab 1830 die Leitung der Vermessung Ostpreußens inne und führte dort auch eine Gradmessung durch. Doch damit nicht genug: Die von C. F. Gauß entwickelte Methode der kleinsten Quadrate bildet die Grundlage für die – in der Geodäsie bedeutende – Ausgleichungsrechnung. Darüber hinaus entwickelte er erste Überlegungen für die konforme Abbildung eines Rotationsellipsoids auf einen Zylindermantel. (Diese Ideen wurden später von Johann Heinrich Louis Krüger4) [1857-1923] weiterentwickelt und bildeten als Gauß-Krüger-Koordinaten das Fundament für das Vermessungswesen und die Kartografie.5)) F. W. Bessel bestimmte bereits im Jahr 1841 die Dimensionen eines Rotationsellipsoids, das bis Mitte der 2010er-Jahre die Grundlage für die Gauß-Krüger-Koordinaten war. Das System ETRS89 – ETRS steht für Europäisches Terrestrisches Referenzsystem –, das auf einem anderen Erdellipsoid basiert, soll europaweit die Verwendung einheitlicher Koordinaten sicherstellen und damit die Gauß-Krüger-Koordinaten ablösen.
Bueste von J. J. Baeyer
Büste von Johann Jacob Baeyer
Ein Schmuckstück des Instituts ist gewiss die Bibliothek im 1. Obergeschoss des Gebäudes, dem die nachstehende Bilderserie gewidmet ist. Über den Regalen sind im Deckengewölbe 3-5 Nischen eingearbeitet, die mit Fresken ausgestaltet sind, welche Allegorien der 12 Tierkreiszeichen wiedergeben. Daneben werden an den Längsseiten diese Allegorien von Darstellungen eingerahmt, die offenbar die „klassischen“ 4 Elemente – Feuer, Wasser, Luft und Erde – symbolisieren.
Historische Bibliothek
Historische Bibliothek
Eine Besonderheit weist das Institutsgebäude noch auf: Es besteht aus zwei voneinander mechanisch entkoppelten Bauwerken, wobei sich das innere im Erdgeschoss befindet, auch ein eigenes Fundament besitzt und heute als „Pendelsaal“ bezeichnet wird. Es diente unter anderem für gravimetrische Messungen. Von 1909 bis zum Jahr 1971 galt der „Potsdamer Schwerewert“ weltweit als Bezugsgröße für die Erdanziehung.
 

Referenzen

[1]   André Brall und Johannes Leicht: Friedrich Robert Helmert im „System Althoff“. Preußische Wissenschaftspolitik und das Geodätische Institut, in: S. Itzerott, A. Brall, P. Flechtner, K.-H. Ilk, J. Ihde, J. Leicht, E. Mai, C. Reigber, A. Reinhold, R. Rummel, H. Schuh: Auf den Spuren des wissenschaftlichen Wirkens von Friedrich Robert Helmert – Zum 175. Geburtstag, (Scientific Technical Report STR; 18/03), Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ, Potsdam, 2018, S. 39-53
[2]   Deutsches GeoForschungsZentrum: Geschichte Telegrafenberg, Internetportal
[3]   Joachim Höpfner: Über die Geschichte des Geodätischen Instituts Potsdam, Übersichtsvortrag am GFZ Potsdam, 15. Oktober 2007
[4]   Karin Reich: Bessel, Gauß und Baeyer: Drei Büsten im ehemaligen Königlich Geodätischen Institut Potsdam, heute Helmert-Haus, im „Wissenschaftspark Albert Einstein, Telegrafenberg Potsdam“, Mitteilungen der Gauß-Gesellschaft e. V. Göttingen 56 (2019), S. 67-73
 

Bildnachweis

alle Bilder   Wolfgang Volk, Berlin, aufgenommen im April 2023
 

1) [1] beschreibt im Detail die Geschichte um die Berufung F. R. Helmerts.
2) Nachfolgeinstitution der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ist die 1948 gegründete Max-Planck-Gesellschaft.
3) Die Lehrer-Schüler-Beziehung wird durch das Mathematics Genealogy Project hergestellt. Dabei hat F. W. Bessel nie studiert, geschweige denn eine Dissertation eingereicht. Diese Beziehung wird ausschließlich dadurch gerechtfertigt, dass C. F. Gauß im Jahr 1811 seinem Schüler eine Ehrenpromotion vermittelte.
4) L. Krüger war ab 1884 Mitarbeiter des Königlichen Preußischen Geodätischen Instituts und übernahm nach dem Tod F. R. Helmerts bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1922 kommissarisch dessen Leitung.
5) Die grundlegenden Ideen der Gauß-Krüger-Projektion finden sich mit geringfügigen Modifikationen auch bei den UTM-Koordinaten und beim ETRS wieder.