Mathematischer Ort des Monats November 2022
Gräber für Meno Burg und Heinrich Silbergleit in Berlin-Prenzlauer Berg
von Wolfgang Volk
 
In Berlin gibt es vier jüdische Friedhöfe. Der erste wurde 1672 angelegt und befindet sich heute in der Großen Hamburger Straße im Bezirk Mitte. Auf diesem wurden noch bis ins Jahr 1827 Bestattungen vorgenommen. 1794 wurde gesetzlich verfügt, dass in Kirchen und bewohnten Gegenden keine Bestattungen mehr erlaubt seien. Bis zur Durchsetzung dieser Verfügung dauerte es allerdings noch einige Jahre, bis im Oktober 1824 die Jüdische Gemeinde Berlins ein Grundstück vor dem Schönhauser Tor in der Größe von etwa 5 Hektar erwarb und auf dem sich heute der Jüdische Friedhof in der Schönhauser Allee befindet. Dieser Friedhof wurde nach den Plänen des Baustadtrats F. W. Langerhans angelegt und am 29. Juni 1827 vom Rabbiner J. J. Oettinger mit einer Grablegung eingeweiht. Als sich bereits 1880 abzeichnete, dass dieser Friedhof aufgrund der rasch ansteigenden Einwohnerzahl nicht ausreichen würde, ließ die Jüdische Gemeinde Berlins einen weiteren Friedhof in Weißensee1) anlegen. Der Bedarf für den vierten jüdischen Friedhof Berlins ergab sich nach dem Zweiten Weltkrieg als wegen der Teilung Berlins – alle drei vorgenannten Friedhöfe befinden sich in den zu Ostberlin zählenden Stadtbezirken – ein Friedhof für die jüdischen Mitbürger in Westberlin benötigt wurde. Dieser befindet sich im Bezirk Charlottenburg am Scholzplatz.
Auf dem Jüdische Friedhof in der Schönhauser Allee befinden sich knapp 23000 Gräber und 750 Erbbegräbnisstätten. Vereinzelte Bestattungen erfolgten noch bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Seit dieser Zeit steht der Friedhof unter Denkmalschutz.
Auf diesem Friedhof befinden sich drei Gräber von Personen, die in mathematischen Disziplinen arbeiteten oder zu denen sich ein Bezug zur Mathematik herstellen lässt.
Die Inschrift des Grabsteins für Meno Burg ist stark verwittert und nur ganz fragmentarisch zu erkennen. Sie ist (überwiegend) in deutscher Sprache verfasst und in Fraktur wiedergegeben. Gemäß [4] lautet sie2) (abgekürzte Worte sind ausgeschrieben, die Ergänzungen sind von eckigen Klammern umschlossen):
Hier ruhet in Gott
Meno Burg
Königl
[icher] Preuss[ischer] Major
der Artillerie
Ritter pp3)
geb
[oren] Den 19. Tischri 5550
d
[en] 9. October 1789
gest
[orben] Den 22. Ab 5615
d
[en] 6. August 1853
Das Grab von M. Burg findet man im Gräberfeld W1, einem schmalen Streifen entlang der nördlichen Friedhofsmauer. Konkret befindet es sich 4 Zeilen westlich der Grabanlage für Michael Beer, in der auch der Komponist Giacomo Meyerbeer beigesetzt ist.
Meno Burg absolvierte nach seiner Schulzeit eine Lehre bei seinem Vetter, dem königlichen Bauinspektor Salomo Sachs und anschließend ein Studium an der Bauakademie, das er 1807 mit dem Examen zum Kondukteur4) und Feldmesser abschloss.
Während der Befreiungskriege meldete er sich im Februar 1813 freiwillig zum Militärdienst, stieg schnell zum Unteroffizier auf, war aber nie an Kampfhandlungen – wie er selbst in [2] schreibt – beteiligt. Erst spät, im Jahr 1815, wurde er zum Unterleutnant, dem niedrigsten Offiziersrang, befördert. Schließlich, am 27. März 1847, wurde M. Burg der „Charakter eines Majors der Artillerie“ erteilt.
Obwohl noch Unteroffizier, wurde M. Burg Ende des Jahres 1814 in Anerkennung seiner Kenntnisse und seines pädagogischen Talents als Lehrer an die neue Brigadeschule der Artillerie in Berlin abkommandiert. Dort hatte er den Offiziersanwärtern die Mathematikkenntnisse zu vermitteln, soweit sie fürs Offiziersexamen benötigt wurden [3]. Seit 1816 war M. Burg als Zeichenlehrer an der Vereinigten Artillerie- und Ingenieurschule tätig. Hierdurch motiviert erschien in der Folge, 1822, sein zweibändiges Werk „Die geometrische Zeichnenkunst, oder vollständige Anweisung zum Linearzeichnen, zum Tuschen und zur Construction der Schatten; für Artilleristen, Ingenieure, Baubeflissene und überhaupt für Künstler und Technologen, zunächst zum Gebrauche beim Unterricht in den Königlich Preußischen Artillerie-Schulen“ [1], das auch ins Französische übersetzt wurde.
Trotz der antisemitischen Zurückstellungen, die er im Laufe seines Dienstlebens erfuhr, erfreute sich Meno Burg große Popularität. Bei seiner Beerdigung am 29. August 1853 sollen ungewöhnlich viele Menschen ihm die letzte Ehre erwiesen haben [4].
Meno Burg
Grabstein für Meno Burg
 
Das Grab für Heinrich Silbergleit befindet sich – leicht aufzufinden – im Gräberfeld B in der ersten Reihe (von Westen aus betrachtet) In dieser Reihe befinden sich nur wenige Grabstätten, und von diesen ist es die Nördlichste.
Die Inschrift des schlichten Grabsteins ist gut zu lesen und lautet:
Prof[essor] D[okto]r
Heinrich Silbergleit
geb
[oren] 2. 7. 1858 in Gleiwitz
gest
[orben] 15. 3. 1939
Edel sei der Mensch,
hilfreich und gut
Heinrich Silbergleit studierte Mathematik und Staatswissenschaften in Breslau, Leipzig und an der Berliner Universität; in Gießen wurde er promoviert. Seit 1886 arbeitete H. Silbergleit als Hilfsarbeiter beim Statistischen Amt in Berlin, 1890 stieg er zum Direktor des Statistischen Amtes in Magdeburg und bekleidete in der Folge ab 1903 das Direktorat des Statistischen Amts in Schöneberg und von 1906 bis 1923 das des Statistischen Amts in Berlin.
Seit 1890 war H. Silbergleit Mitglied des Internationalen Statistischen Instituts, das 1885 gegründet wurde. In der Zeit von 1905 bis 1919 war H. Silbergleit Mitglied im Hauptausschuss des Deutschen Vereins für Armenpflege und Wohltätigkeit, der heute Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge heißt. Im Auftrag dieses Vereins hat H. Silbergleit zwei Schriften publiziert:
  • Finanzstatistik der Armenverwaltungen von 108 deutschen Städten,
  • Finanzstatistik der Armenverwaltungen von 130 deutschen Städten, 1901 bis 1905,
die 1902 und 1908 erschienen sind (siehe auch die Nachdrucke). Erwähnenswert ist auch sein Buch „Die Bevölkerungs- und Berufsverhältnisse der Juden im Deutschen Reich“, das 1930 im Akademie-Verlag erschienen ist.
 
Heinrich Silbergleit
Grab für Heinrich Silbergleit
Einen Bezug zur Mathematik ganz anderer Art ergibt sich zur nachstehend abgebildeten Familiengrabstätte. In dieser ist der Maler und Grafiker Max Liebermann bestattet. Diese Grabstätte befindet sich an der südöstlichen Ecke des Gräberfeldes E und ist ein Ehrengrab des Landes Berlin.
Max Liebermann
Grabstätte für die Familie Max Liebermann
 
M. Liebermann hat zahlreiche Porträts geschaffen, unter anderem auch eines, das den Mathematiker Felix Klein (1849-1925) zeigt.
Felix Klein
Felix Klein porträtiert durch Max Liebermann5)
 
Nachstehend sei der Lageplan des Jüdischen Friedhofs mit den Lagen der drei weiter oben beschriebenen Grabstätten wiedergegeben. Ergänzend sei angemerkt, dass der schmale Randbereich ebenfalls Gräberfeldbezeichnungen besitzt, die allerdings nicht angegeben sind. Es sind dies im Uhrzeigersinn W1 (Nordseite), W2 (Ostseite), W3 (südöstliche Seite) und gegebenenfalls weitere6).
Lageplan des Juedischen Friedhoefs in der Schoenhauser Allee
Lageplan des Jüdischen Friedhofs in der Schönhauser Allee
(Klickt man auf die Grafik, so werden ausschließlich die Markierungen und
die Texte gut lesbar angezeigt.)
 
Was auf dem Lageplan als Ehrenreihe ausgewiesen ist, waren ursprünglich für die Rabbiner und andere hochrangige Vertreter der jüdischen Gemeinde reservierte Grablagen.
Das Grab des Mathematikers und Philosophen Lazarus Bendavid (1762-1832) ist nicht erhalten geblieben.
 

Referenzen

[1]   Meno Burg: Die geometrische Zeichnenkunst, oder vollständige Anweisung zum Linearzeichnen, zum Tuschen und zur Construction der Schatten; für Artilleristen, Ingenieure, Baubeflissene und überhaupt für Künstler und Technologen, zunächst zum Gebrauche beim Unterricht in den Königlich Preußischen Artillerie-Schulen, Verlag von Duncker und Humblot, Berlin, 1822
Erster Theil (Die allgemeine geometrische Zeichnungslehre)
Zweiter Theil (Das Zeichnen und Aufnehmen der Artillerie-Gegenstände)
[2]   Meno Burg: Geschichte meines Dienstlebens, B. Behr's Buchhandlung, Berlin, 1854
[3]   Julius Löwenberg: Burg, Meno, in: Allgemeine Deutsche Biographie 3 (1876), S. 590-591
[4]   Wikpedia: Meno Burg
[5]   Wikpedia: Kondukteur (Bauwesen)
[6]   Wikpedia: Heinrich Silbergleit
 

Bildnachweis

Grabstätten   Wolfgang Volk, Berlin, Oktober 2022
Porträt von Felix Klein   Wolfgang Volk, Berlin, Juni 2024
Hintergrundbild
zum Lageplan
  Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Juedischer_Friedhof_Schoenhauser_Map.SVG
Urheber bzw. Nutzungsrechtinhaber: Manfred Brückels, in svg-Version erstellt durch Pomfuttge, Lizenz zur Nutzung: CC BY-SA 3.0
 

1) siehe auch die Ausarbeitungen zur Grabstätte für Edmund Landau und den Gräbern von Leopold Löwenherz und Joseph Weizenbaum
2) Ob die Angaben gemäß des Jüdischen Kalenders in hebräischen Schriftzeichen angegeben waren, ist nicht mehr zu erkennen, darf aber vermutet werden.
3) "praemissis praemittendis" mit der Bedeutung "man nehme an, der gebührende Titel sei vorausgeschickt" (siehe DUDEN online)
4) Kondukteur ist auch eine historische Berufsbezeichnung im Bau- und Vermessungswesen [5].
5) Das Porträt ist wegen einer schützenden Glasscheibe nicht mehr ohne störende Spiegelungen zu fotografieren. Auf der Homepage von Tom Koornwinder ist das Porträt von Felix Klein ebenfalls wiedergegeben.
6) Vor Ort sind die Bezeichnungen für die Gräberfelder nicht zu erkennen. Aus den Angaben auf einer Informationstafel in der Nähe des Lapidariums lassen sich die angegebenen Gräberfeldbezeichnungen ableiten.