Mathematischer Ort des Monats Februar 2020
Trigonometrischer Punkt Rauenberg in Berlin-Tempelhof
von Wolfgang Volk
 
Für das Verständnis der nachstehenden Beschreibung des mathematischen Ortes bedarf es im vorliegenden Fall zunächst einer Darstellung der historischen Entwicklung seiner Umgebung.
Mithilfe trigonometrischer Punkte wird über ein geodätisch zu erfassendes Gebiet ein möglichst großmaschiges Dreiecksnetz festgelegt1). Zwischen diesen trigonometrischen Punkten (TPs) sollen direkte Sichtverbindungen bestehen, damit die Dreieckswinkel in diesem Netz unmittelbar gemessen (beobachtet) werden können. Daraus leitet sich ab, dass diese TPs aus guten Gründen auf Bergkuppen angelegt wurden. Im flachen Land kamen als exponierte Orte auch Kirchtürme in Betracht, die – in aller Regel – im 19. und 20. Jahrhundert die anderen Gebäude in ihrer Umgebung an Höhe überragten. Dass trotzdem im Allgemeinen noch gewaltige Anstrengungen erforderlich waren, um die Winkel wirklich bestimmen zu können, soll hier nicht unerwähnt bleiben aber nicht Gegenstand der Betrachtungen sein.
Das heutige Areal im Berliner Ortsteil Tempelhof, das heute als Marienhöhe bezeichnet wird, gehörte zu einer Grundmoräne aus der letzten Eiszeit und besaß zwei Kuppen, 62m und 58m hoch [5]. Dort wurde im Rahmen der von Generalleutnant Johann Jacob Baeyer durchgeführten Küstenvermessung in den Jahren 1837 - 1846 auch der trigonometrische Punkt Rauenberg festgelegt [1, S. 40]. Ausgehend von der Position des TP Rauenberg und des 1859 bestimmten Azimuts (Horizontalwinkel zwischen Blickrichtung und der geografischen Nordrichtung) zum Kirchturm der Marienkirche wurden in der Folge die Positionen (geografische Koordinaten) der anderen trigonometrischen Punkte bestimmt. Dies macht die besondere Bedeutung des TP Rauenberg aus!
Peinlich nur, dass dem Abbau von Sand und Kies für Bauzwecke der rapide wachsenden Stadt Berlin der Steinpfeiler des TPs Rauenberg und all seiner Sicherungsmarkierungen um das Jahr 1910 zum Opfer fiel.
In den Jahren 1949 - 1951 wurde auf dem Areal des Rauenberg Trümmerschutt von im 2. Weltkrieg zerstörten Gebäuden aufgeschüttet. So entstand die Marienhöhe, welche sich etwa 11m höher erhebt als der ursprüngliche Rauenberg.
In den 70er Jahren kam die Idee auf, den TP Rauenberg lagemäßig wieder herzustellen und als technisch-historisches Denkmal auszugestalten. Als Ergebnis der nachfolgenden Bemühungen konnte dieses Denkmal am 9. September 1985 errichtet und drei Tage später offiziell eingeweiht werden [2]. Am 10. September des selben Jahres jährte sich der Todestag von J. J. Baeyer zum 100. Mal.
TP Rauenberg
Denkmal des Trigonometrischen Punkts Rauenberg auf der Marienhöhe
 
Gemäß den Ausführungen in [2] besitzt das 1985 eingeweihte Denkmal auf der Marienhöhe die gleichen geografischen Koordinaten wie der ursprüngliche trigonometrische Punkt, der seinerzeit für die Vermessungsarbeiten verwendet wurde. Der in den Boden eingelassene Pfeiler besitzt auf der quadratischen Deckfläche ein zentrisches eingemeißeltes Kreuz zur Festlegung des Punktes an sich, ein auf der nach Norden ausgerichtete Seitenfläche ein eingemeißeltes gleichseitiges Dreieck (auf der fotografischen Aufnahme der Inschrift [siehe unten] auf der rechten Seite zu erkennen) und auf der nach Süden ausgerichteten Seitenfkäche die eingemeißelte Buchstabenkombination „TP“ (siehe obiges Foto und die Beschreibung des TP Müggelberg in Berlin-Köpenick); dies ist die übliche Ausstattung trigonometrischer Punkte (vergleiche [3, S. 69]).
Dass es sich hier um ein technisches Denkmal handelt (vergleiche hierzu auch den Lage- und Höhenfestpunkt auf dem Heinrich-Dathe-Platz in Berlin-Friedrichsfelde) lässt sich an der weiteren Ausstattung ermessen. Da ist zum einen die Dimensionierung des Granitpfeilers, die das übliche Maß signifikant überschreitet. Zum anderen sind da noch eine in den Pfeiler eingelassene Tafel, welche das preußische Hauptdreiecksnetz wiedergibt, sowie eine erläuternde Inschrift (mit erhabenen Buchstaben) angebracht.
Tafel mit Dreiecksnetz
Tafel mit dem preußischen Hauptdreiecksnetz
 
Die Tafel ist in die westliche Seite des Pfeilers eingelassen und zeigt „die Hauptdreiecke der Trigonometrischen Abtheilung der Königlich-Preussischen Landesaufnahme im Jahre 1900“2) (vergleiche auch [2]). Der Maßstab ist mit 1:2,5 Millionen angegeben, das Gradnetz bezieht sich auf den Meridian von Ferro, der bis weit ins 19. Jahrhundert hinein als Nullmeridian Verwendung fand.
Inschrift
Die Inschrift an der östlichen Seite des Pfeilers
 
An der östlichen Seite des Pfeilers befindet sich eine Tafel mit einer Inschrift, welche die geografischen Koordinaten des TP Rauenberg wiedergibt, das Azimut zur Marienkirche benennt und Auskunft über die Bedeutung des trigonometrischen Punkts gibt. Der Wortlaut im Einzelnen:
 
T P   R A U E N B E R G
 
Geographische Länge 31° 02' 04,"928
östlich von Ferro
Geographische Breite 52° 27' 12,"021
Azimut Rauenberg - Berlin Marienkirche
19° 46' 04,"87
 
Der trigonometrische Punkt I. Ordnung
Rauenberg ist der Ausgangspunkt für
die Berechnung der geographischen
Koordinaten des preussischen Haupt-
dreiecksnetzes
. Als Zentralpunkt
bestimmt er auch die Lage und die
Orientierung des heutigen deutschen
Hauptdreiecksnetzes auf dem als Be-
zugsfläche gewählten Bessel-Ellipsoid.

Länge und Breite (Lage) sowie Azimut
(Orientierung) wurden aus astrono-
mischen Messungen der Jahre 1853
und 1859 abgeleitet.
 
Die nachstehende Ansicht mit dem Zugang per Treppe hebt ebenfalls den Denkmalcharakter der Anlage hervor.
Ansicht vom Weg
Anblick des Denkmals vom vorbeiführenden Weg aus
 
Derzeit, Februar 2020, ist die Kuppe der Marienhöhe nicht zugänglich, und damit kann auch das Denkmal des trigonometrischen Punktes Rauenberg nicht besichtigt werden (siehe diesen Zeitungsartikel). Inzwischen ist an den Absperrungen (siehe nachstehende Aufnahme) zu lesen, dass die Sperrung aus Gründen der Verkehrssicherungspflicht erforderlich und eine Sanierung geplant ist. Ein Grund mehr, diesen mathematischen Ort hier und jetzt vorzustellen.
Sperrhinweis
Information zur Sperrung
 

Referenzen

[1]   Franz Blaser: Der trigonometrische Punkt I. Ordnung Rauenberg, Mitteilungen aus dem Vermessungswesen (Hrsg. Senator für Bau- und Wohnungswesen) 15 (1984), S. 40 - 44
[2]   Günther Bolze und Franz Blaser: Das Denkmal TP Rauenberg, Mitteilungen aus dem Vermessungswesen (Hrsg. Senator für Bau- und Wohnungswesen) 16 (1986), S. 30 - 37
[3]   Karl Fricke, Joachim Richter und Kurt Schneider: Der Vermessungstechniker, 2. Aufl., Gebr. Jänecke Verlag, Hannover, 1966
[4]   Der Senator für Bau- und Wohnungswesen: Der trigonometrische Punkt I. Ordnung Rauenberg, Faltblatt
[5]   Wikipedia: Marienhöhe (Berlin)
 

Bildnachweis

Bilder zum TP   Wolfgang Volk, Berlin, Juni 2007
Information zur Sperrung   Wolfgang Volk, Berlin, Januar 2020
 

1) Dieses Dreiecksnetz bezeichnet man als Netz I. Ordnung, die Dreiecksseiten besitzen in der Regel eine Länge von 30km - 50km. Dieses wird durch Dreiecksnetze II. - IV. Ordnung weiter verdichtet, so dass etwa auf jedem Quadratkilometer ein trigonometrischer Punkt kommt. Auf deren Grundlage setzt dann die allgemeine Vermessung auf, die weniger aufwändige Methoden zur Punktbestimmung einsetzt.
2) Mit „Hauptdreiecke“ ist hier das Dreiecksnetz gemeint, das aus trigonometrischen Punkten I. Ordnung gebildet ist.