Mathematischer Ort des Monats Dezember 2017
Lage- und Höhenfestpunkt in Berlin-Friedrichsfelde
Eine Hommage auf Friedrich Wilhelm Bessel und Gerhard Mercator
von
Wolfgang Volk
Auf dem Heinrich-Dathe-Platz, unmittelbar am U-Bahnhof Tierpark in Berlin-Friedrichsfelde gelegen,
ist ein Lage- und Höhenfestpunkt auf einem Steinquader markiert (siehe nachstehendes Bild).
In einem gewissen Abstand stehen in einem Viertelkreis vier weitere, oben abgeschrägte Stelen,
die Metallplatten mit Skizzen zu geodätischen Sachverhalten zeigen.
Das ganze Ensemble ist auf obigem Bild zu sehen. (Die Blickrichtung ist etwa gen Westen.)
Allerdings handelt es sich bei diesem Lage- und Höhenfestpunkt um ein technisches
Denkmal; der Punkt selbst ist nicht Teil des Festpunktnetzes Berlins und die Zahlenwerte nicht
mit der erforderlichen Genauigkeit ermittelt.
Die Marke auf der zentralen quaderförmigen Säule ist mit dem Text „Messungspunkt“
versehen (vergleiche nachstehendes Bild). Eine Metallplakette weist darauf hin, dass es sich um einen Lage-
und Höhenfestpunkt handelt.
Die oben auf dem ersten Bild am weitesten links stehende Stele zeigt lediglich eine schlichte
Windrose, bei der die vier
Haupthimmelsrichtungen mit den Buchstaben
„N“ für Nord, „O“ für Ost,
„S“ für Süd und „W“ für West ausgezeichnet sind.
Die nächste Stele gegen den Uhrzeigersinn – also nach rechts auf dem ersten
Bild auf dieser Seite – zeigt die im Zusammenhang mit Höhenangaben
beteiligten Flächen.
Von oben nach unten sind dies
- die (physikalische) Erdoberfläche, auf der auch die Punkte liegen, deren Höhen zu bestimmen sind,
- die durch die Landmasse fortgesetzte Meeresoberfläche, das Geoid (hier fälschlicherweise Quasigeoid genannt) und
- das als rechnerische Bezugsfläche verwendete (Erd-)Ellipsoid.
Der bisher beschriebene Inhalt dieser Tafel wird durch folgenden Text komplettiert:
Deutsches Haupthöhennetz
DHHN 1992
39,00 m NHN
(Diese Höhenangabe ist definitiv nicht exakt, üblicherweise wird sie für echte
Höhenfestpunkte mit Millimeter-Genauigkeit angegeben; außerdem werden Festpunkte nicht
konstruiert, sondern gemäß Sicherheitsaspekten vermarkt und die Werte gemessen bzw.
aus genau gemessenen Bestimmungsgrößen berechnet.)
DHHN 1992
39,00 m NHN
Der Zusammenhang von Erdellipsoid, Geoid und Quasigeoid soll weiter unten, nach der Beschreibung
der beiden noch verbleibenden Tafeln, erläutert werden.
In der Antike und auch in der Zeit danach nahm man für den Planeten Erde eine Kugelgestalt
an (1. Näherung). Man denke dabei an
Aristoteles
(384 v. Chr. – 322 v. Chr.) (siehe insbesondere der Wikipedia-Artikel zur
flachen Erde) und
Eratosthenes
(zwischen 276 und 273 v. Chr. – 194 v. Chr).
Aber spätestens seit
Isaac Newton (1642 – 1726)
ahnte man, dass die Erde an den Polen abgeflacht sein müsse (siehe den Wikipedia-Artikel
zum Referenzellipsoid).
Dabei standen aber aus (guten) physikalischen Gründen immer nur Rotationsellipsoide zur
Debatte, d. h. die beiden Halbachsen in der Äquatorebene sind gleich groß, nur die
Länge der halben Rotationsachse weicht davon ab.
So hat die französische Akademie der Wissenschaften verfügt, dass zwei Expeditionen
zur Längenbestimmung von Meridianbögen unternommen werden, eine nach Südamerika
unter der Leitung von
Pierre Bouguer und
Charles Marie
de la Condamine und eine nach Lappland unter der Leitung von
Pierre Louis Moreau
de Maupertuis. Die Vermessungsarbeiten in Südamerika dauerten von 1736 bis 1739,
die in Lappland von 1736 bis 1737, ihre Auswertung ergab zweifelsfrei eine Abplattung an den Polen
(2. Näherung).
Eine der ersten Bestimmungen des Erdellipsoids gelang
Friedrich Wilhelm Bessel im
Jahr 1841. Die Bedeutung und die damit einhergehende Rechtfertigung, auf der Plakette der vorletzten
Stele das sogenannte
Bessel-Ellipsoid zu erwähnen,
rührt daher, dass es bis in unsere Zeit die Grundlage für die in Deutschland
verwendeten Koordinatensysteme bildet (dazu noch mehr in den nachstehenden Betrachtungen).
Die Arbeitsweise mit so einem Erdellipsoid ist wie folgt: Seine Oberfläche wird als
Erdoberfläche angenommen und die Flächennormale als empfundene Lotrichtung.
Damit ist die geografische Breite eines Ortes genau der Winkel zwischen dieser Lotrichtung und
der Äquatorebene, wobei jedem sofort auffallen dürfte, dass dies kein exakter Ansatz sein
kann, da das Lot im Allgemeinen nicht durch den Erdmittelpunkt (Schwerpunkt des Erdellipsoids) führt
(außer am Äquator und an den beiden Polen).
Dieser Ansatz ist jedoch vernünftig, präsentiert sich doch die wahrgenommene Erdgestalt
als achsensymmetrisch gekrümmte Fläche und die Lotrichtung schon ganz gut mit der
perönlich wahrgenommenen Schwerelinie (Lot im Standpunkt).
Auch wenn sich das Modell der ellipsoidalen Gestalt der Erdkugel aus mathematischer Sicht
akzeptabel anfühlt, sollte es doch nicht unerwähnt bleiben, dass für
geodätische Berechnungen in der Regel keine geschlossenen Formeln zur Verfügung stehen,
sondern Reihenentwicklungen zur Anwendung kommen.
Neben dem abgebildeten Ellipsoid mit Gradnetz ist auf dieser Tafel noch folgender Text zu lesen:
Geographische
Koordinaten
Ellipsoid von Bessel
1841
52° 29' 56,9" nördlicher Breite
13° 31' 23,6" östlicher Länge
(Die geografischen Koordinaten sind mit einer Genauigkeit von einer Nachkommastelle der Winkelsekunden
angegeben. Dies entspricht einer Lagegenauigkeit von etwa 3 m.)
Koordinaten
Ellipsoid von Bessel
1841
52° 29' 56,9" nördlicher Breite
13° 31' 23,6" östlicher Länge
Mit den bisher entwickelten Überlegungen glaubt man, mit einem Rotationsellipsoid ein zumindest
aus mathematischer Sicht hinreichend genaues Umfeld gefunden zu haben. Trotzdem nimmt man als
Individuum die nähere Umgebung auf der Erde als Ebene wahr. Da ist natürlich für
die Berechnung von Streckenlängen und Flächeninhalten ein kartesisches
Koordinatensystem das Mittel der Wahl.
Damit ist man auch mitten in der Diskussion zum Thema Kartenprojektionen, die hier natürlich nicht
in ihrer ganzen Tiefe geführt werden kann. Aber am Anfang der für die im Zusammenhang
mit dem Lage- und Höhenfestpunkt relevanten, auf den Stelen präsentierten Sachverhalten
stehen die Überlegungen des Kosmografen
Gerhard Kremer
(1512 – 1594, in der latinisierten Form besser bekannt als Gerhardus Mercator)
im Vordergrund.
Das Verdienst von Gerhard Mercator – das dürfte der Name sein, unter dem er am
bekanntesten ist – ist die Entwicklung einer winkeltreuen Abbildung von der
Erdkugel auf einen (mathematischen) Zylinder, dessen Achse mit der Rotationsachse der Erde
übereinstimmt. Die Landkarte und dmit auch ein kartesisches Koordinatensystem erhält man
dann durch Aufschneiden und Abrollen der Zylinderoberfläche.
Das Ergebnis sind die globalen Landkarten, bei denen Grönland und Afrika annähernd
gleichgroß wiedergegeben werden (siehe das nachstehende Bild).
Er hat für
die verschiedenen Werte der geografischen Breite φ das Integral
rechnerisch bestimmt. Das Besondere dabei: Die Infinitesimalrechnung von
Gottfried Wilhelm Leibniz und
Isaac Newton war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht entwickelt.
Zusammen mit der Formel (alle Winkel im Bogenmaß)
erhält man die Lage von Punkten auf der Karte, versehen mit einem kartesischen Koordinatensystem,
anhand ihrer geografischen Koordinaten (auf der Erdkugel). Wie gesagt ist diese Projektion
winkeltreu, man erkennt aber sofort, dass Längen und Flächeninhalte nur in
Äquatornähe akzeptabel wiedergegeben werden.
Die Idee keinen Zylinder wie von Gerhard Mercator in normaler Lage (senkrecht) zu verwenden,
sondern in transversaler Lage (Zylinderachse waagrecht, in der Äquatorebene verlaufend) geht
wohl auf
Johann Heinrich Lambert zurück.
Carl Friedrich Gauß
favorisierte einen elliptischen Zylinder, der das Erdellipsoid in einem Meridian berührt, und
Louis Krüger arbeitete die
Gedanken weiter aus und war an der Einführung der sogenannten
Gauß-Krüger-Koordinatensysteme
beteiligt. Dabei wird jeweils nur ein 3°-breiter Meridianstreifen winkeltreu auf einen elliptischen
Zylinder abgebildet und jeder dieser Meridianstreifen mit einer Kennziffer (Zählweise vom
Nullmeridian, durch Greenwich) versehen. Auf diese Weise
erhält man eine Reihe kartesischer Koordinatensysteme, nicht nur für die Produktion von
Landkarten, sondern auch als Berechnungsgrundlage für das
Liegenschaftskataster.
UTM-Koordinatensysteme basieren auf den gleichen Ideen wie Gauß-Krüger-Koordinatensysteme.
Dabei werden jedoch 6°-breite Meridianstreifen verwendet und eine Längenreduktion von 0,04%
vorgenommen. Dies kann dahingehend interpretiert werden, dass der elliptische Zylinder das
Erdellipsoid schneidet. Mit diesen Informationen ist die grafische Darstellung auf der letzten
Stele zu verstehen.
Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass UTM auf dem Referenzellipsoid
GRS80
(Geodätisches Referenzsystem 1980) bzw.
WGS84 (World Geodetic System)
basiert.
Auf der Metalltafel ist folgender Text zu lesen:
Universal Transversal
Mercator Projektion
(UTM)
European Terrestrial Reference System 1989
(ETRS 89)
Koordinaten:
Rechtswert = 33 399 629,54 m
Hochwert = 5 817 426,70 m
Aus dem Rechtswert lässt sich bereits ablesen, dass der Festpunkt im 33. UTM-Meridianstreifen
(von der Datumsgrenze aus nummeriert) und etwa 5817 km nördlich des Äquators liegt.
Auf ETRS 89
soll hier nicht weiter eingegangen werden, da dies für den allgemeinen Überblick
nicht zwingend erforderlich ist.
Mercator Projektion
(UTM)
European Terrestrial Reference System 1989
(ETRS 89)
Koordinaten:
Rechtswert = 33 399 629,54 m
Hochwert = 5 817 426,70 m
Wie weiter oben bereits versprochen, soll noch der Zusammenhang von Erdellipsoid, Geoid und
Quasigeoid erläutert werden.
Das
Geoid darf man sich als die Niveaufläche des
Meeresspiegels vorstellen, fortgesetzt in den Landmassen. Damit ist das Geoid nur auf den Weltmeeren
näherungsweise erfahrbar und, da sich der überwiegende Teil der Landmassen über dem
Meeresspiegel befindet, sonst nicht (für Messungen) zugänglich.
Die Gestalt des Geoids als Bezugsfläche im Schwerefeld der Erde ist von der Massenverteilung
abhängig und damit nicht mit Formeln mathematisch zu beschreiben. Jedoch lässt sich durch
Satellitenbeobachtungen, so wie sie auch am
Geoforschungszentrum in Potsdam durchgeführt werden,
in gewisser Weise rekonstrieren. Das Ergebnis dieser Arbeiten ist eine unregelmäßige Figur,
die als
Potsdamer
Kartoffel bezeichnet wird. Die Abweichungen zwischen Geoid und dem Referenzellipsoid WGS84 werden
mit maximal ±40 m beziffert.
Das Quasigeoid ist der Versuch einer Rekonstruktion des Geoids aus gemessenen Geländehöhen
und idealisierten Annahmen der Lotrichtungen (Flächennormale des Referenzellipsoids).
Es besitzt für die vorstehenden Ausführungen kaum Relevanz, außer im Zusammenhang
mit der Umstellung des Höhensystems von Normalnull (NN) auf Normalhöhennull (NHN) bei dem
das Schwerefeld der Erde mit berücksichtigt wird (vergleiche auch die Höhenangabe auf der
zweiten Tafel). Für weitere Details sei auf die nachstehenden Wikipedia-Artikel verwiesen:
Bildnachweis
Lage- und Höhen- festpunkt |
Wolfgang Volk, Berlin, Juli 2014 | |
Mercator- Projektion |
Lars H. Rohwedder, Quelle: File:Normal Mercator map 85deg.jpg, lizensiert gemäß CC-BY-SA-3.0 |