Mathematiker des Monats August 2018
Hermann Ludwig Schmid (1908-1956)
von
Karin Reich
und
Peter Roquette
Zahlreichen Mathematikern ist das von
Josef Naas und Hermann Ludwig Schmid
herausgegebene Mathematische Wörterbuch ein Begriff. Für viele
Berliner Mathematiker ist es eine wohlbekannte Tatsache, dass es Schmid gewesen ist,
der wesentlichen Anteil am Wiedererstehen des mathematischen Lebens in Berlin nach dem
Zweiten Weltkrieg hatte.
Augsburg, München, Marburg, Göttingen, Gießen
Hermann Ludwig Schmid, geboren am 26. Juni 1908, war der Sohn des Ziegeleibesitzers Josef Schmid
in Göggingen (bei Augsburg), der bereits 1913 verstarb, und dessen Frau Walburga,
geborene Wechsler. Hermann Ludwig war das drittälteste von fünf Kindern.
Er besuchte das humanistische
Gymnasium bei St. Stephan in Augsburg,
wo er 1927 sein Abitur bestand.
Anschließend begann er ein Studium der Mathematik und Physik an der Universität München;
seine wichtigsten Lehrer waren
Constantin Carathéodory (1873-1950),
Fritz Hartogs (1874-1943),
Oskar Perron (1880-1975),
Heinrich Tietze (1880-1964) und
Arnold Sommerfeld (1868-1951).
Anfang 1932 legte er die erste, im Jahre 1933 die zweite Lehramtsprüfung ab.
Im Anschluss daran wirkte er als Assessor an seinem früheren Gymnasium bei St. Stephan,
er wurde aber alsbald beurlaubt, sodass er sein Studium ab November 1933 an der
Universität Marburg fortsetzen konnte. Dort wurde er von
Helmut Hasse (1898-1979) betreut, der damals an der Übertragung des
Artinschen
Reziprozitätsgesetzes von dem ursprünglichen Fall der zyklischen Erweiterungen
algebraischer Zahlkörper auf den Fall der zyklischen Erweiterungen algebraischer
Funktionenkörper mit endlichen Konstantenkörper arbeitete.
Das Thema von Schmids Doktorarbeit lautete „Über das Reziprozitätsgesetz in
relativ-zyklischen algebraischen Funktionenkörpern mit endlichem Konstantenkörper“ [6].
Die Dissertation wurde am 19. Juli 1934 angenommen, Berichterstatter –
es gab nur einen – war Hasse, die mündliche Prüfung fand am 1. August 1934 statt.
Schmids wesentliche Arbeitsgebiete waren von Anfang an die Algebra und die Zahlentheorie.
Als Hasse kurze Zeit später einen Ruf an die Universität Göttingen als
Nachfolger von
Hermann Weyl (1885-1955) annahm,
wechselte auch Schmid im Jahre 1935 nach Göttingen. Er wurde, wie schon
Ernst Witt (1911-1991) ein Jahr vorher,
Assistent bei Hasse;
Egon Ullrich (1902-1957) war seit 1934
Oberassistent, d. h. Hasse hatte damals drei Assistenten.
Schmid heiratete die aus Schweden stammende Vivera Delin, die aber 1936 bei der Geburt des
ersten Kindes verstarb. Auch lernte Schmid in Göttingen
Oswald Teichmüller (1913-1943)
kennen, der 1935 bei Hasse promovierte. Aus Schmids Göttinger Zeit, die nur bis 1937 währte,
gingen insgesamt sechs Arbeiten hervor. Diese wurden im
Journal
für reine und angewandte Mathematik veröffentlicht, Hasse gehörte seinerzeit zu den
Herausgebern dieses Journals.
Im Jahre 1938 übernahm Schmid eine Mitarbeiterstelle am mathematischen Institut der
Universität Gießen, wo damals
Harald Geppert (1902-1945) und Egon Ullrich
wirkten. Ullrich hatte 1936 nach Gießen gewechselt, wo er zunächst eine
außerordentliche und 1940 eine ordentliche Professur erhielt. Auch wurde Schmid
Redaktionssekretär des Zentralblattes, dessen Redaktion Egon Ullrich unterstand.
Schmid konnte sich 1939 in Gießen habilitieren und wurde damit Privatdozent.
Seine Habilitationsschrift „Zur Meromorphismentheorie der elliptischen Funktionenkörper“
[7] erschien in der
Mathematischen Zeitschrift.
Berlin
Als Geppert 1940 an die Universität Berlin wechselte, folgte ihm Schmid und wurde dort sein
Assistent. Harald Geppert beging zusammen mit seiner Familie am 4. Mai 1945 Selbstmord,
nachdem die Russen Berlin eingenommen hatten. Da die Lehrstuhlinhaber
Ludwig Bieberbach (1886-1982) und der angewandte Mathematiker
Alfred Klose (1895-1953),
der eigentlich Astronom war, 1945 aus politischen Gründen entlassen wurden, war
Hermann Ludwig Schmid als einziger habilitierter Mathematiker der Mann der ersten Stunde.
Schmid ging im Jahre 1946 eine zweite Ehe ein, er heiratete Ursula Pallasch (1920-2004);
das Paar hatte drei Söhne und zwei Töchter.
Am 20. Januar 1946 wurde die Universität in Berlin wiedereröffnet.
Schmid, der schon vor diesem Ereignis mathematische Vorlesungen und Seminare arrangiert hatte,
wurde in demselben Jahr 1946 zunächst außerordentlicher und dann ordentlicher Professor
an der Universität. Es gelang Hermann Ludwig Schmid,
Erhard Schmidt (1876-1959) zu motivieren, nach Berlin zurückzukehren.
Seit dem 1. November 1946 wieder in Berlin war er trotz seines hohen Alters bereit, Aufgaben,
insbesondere Lehraufgaben, zu übernehmen. In einem Brief vom 22. August 1946 an Helmut Hasse
bemühte sich Schmid, Hasse für Berlin zu gewinnen und zwar zunächst für eine
Forschungsprofessur an der Akademie. In der Tat wurde am 1. Oktober 1946 von Seiten der
Berliner Akademie das Forschungsinstitut für Mathematik gegründet, wobei
Hermann Ludwig Schmid, Erhard Schmidt,
Georg Hamel und Helmut Hasse die vier Gründungsprofessoren waren.
1947 wurde Schmid zusätzlich Abteilungsleiter im Forschungsinstitut für Mathematik der
Akademie; ferner übernahm er die Schriftleitung des
Zentralblattes für Mathematik.
Im Jahre 1946 wurde
Kurt Schröder
(1909-1978) an die Universität Berlin berufen, er übernahm den Lehrstuhl für
angewandte Mathematik.
Alexander Dinghas (1908-1974)
wurde am 29. Januar 1946 Professor mit vollem Lehrauftrag und am 20.10.1947
persönlicher ordentlicher Professor. Er wechselte allerdings bereits am 26. Januar 1949 an die
1948 neu gegründete
Freie Universität.
Rudolf Kochendörffer
(1911-1980), der als sogenannter post-doc in Göttingen bei Hasse studiert hatte,
konnte sich 1948 in Berlin habilitieren, es war dies die erste Habilitation nach dem Krieg;
Gutachter waren Hermann Ludwig Schmid und Kurt Schröder. Kochendörffer wechselte 1948 an die
Universität Greifswald, 1950 nach Rostock, 1968 nach Mainz und 1970 nach Dortmund.
Auch wurde 1947 auf Grund einer Initiative von Erhard Schmidt eine neue Zeitschrift ins Leben gerufen,
die Mathematischen Nachrichten;
der erste Band erschien im Jahre 1948, herausgegeben von einem sechsköpfigen Gremium,
darunter Hermann Ludwig Schmid. Die Hauptarbeit für diese Zeitschrift ruhte allerdings auf
Schmids Schultern.
Die Berliner Universität mit der offiziellen Bezeichnung Friedrich-Wilhelms-Universität
wurde am 8. Februar 1949 in Humboldt-Universität zu Berlin umbenannt.
Bereits im Jahre 1941 war von Ludwig Bieberbach eine Kommission für die Herausgabe eines
Mathematischen Wörterbuches gegründet worden. Diese Idee wurde von Josef Naas (1906-1993)
und Hermann Ludwig Schmid aufgegriffen, sodass das Werk im Jahre 1961 erscheinen konnte.
Da Josef Naas seit 1946 Direktor an der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin und seit 1953
Abteilungsleiter und Professor war, wurde das Werk an der Akademie herausgegeben.
Das Werk erlebte 1967 eine dritte Auflage, von der es mehrere Nachdrucke gibt.
Schmid hatte in Berlin drei Doktoranden betreut, an erster Stelle ist hier
Heinz Orsinger (1925-1980)
zu nennen, der 1951 über das Thema „Zur Konstruktion von Trägheitsformen als Koeffizienten
algebraischer Gleichungen“ promoviert hatte. Besondere Erwähnung verdient ferner
Erich Lamprecht (1926-2003),
der 1952 bei Schmid mit seiner Dissertation „Allgemeine Theorie der Gaußschen Summen in
endlichen kommutativen Ringen“ den Doktorgrad erwarb.
Würzburg
Im Jahre 1953 wechselte Schmid an die Universität Würzburg,
wobei Lamprecht nunmehr sein wissenschaftlicher Mitarbeiter wurde.
Schmids Nachfolger an der Humboldt-Universität wurde
Hans Reichardt (1908-1991),
d. h. wieder ein Hasse-Schüler.
In Würzburg wurde Schmid 1954 Dekan der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät;
er war im Jahre 1955/56 Rektor der Universität. Zu seinen Kollegen in Würzburg gehörte
Herbert
Bilharz (1910-1956), der ebenfalls Hasse-Schüler war. Nicht unerwähnt bleiben soll ferner,
dass Schmids Doktorand Orsinger 1954 in Würzburg Privatdozent wurde und dies bis 1964 blieb.
Hermann Ludwig Schmid verstarb, völlig unerwartet, am 16. April 1956 in Würzburg.
Lamprecht, der sich 1955 habilitieren konnte, wurde nunmehr Lehrstuhlvertreter, 1959 Dozent und 1961
außerplanmäßiger Professor an der Universität Würzburg, bevor er 1963 an die
Universität Saarbrücken wechselte.
Nach Schmids Tod
Es war Helmut Hasse, der Hermann Ludwig Schmids Leben und Werk in Form eines umfangreichen Nachrufs
würdigte, den er am 10. September 1956 bei der Jahrestagung der DMV in Würzburg vorstellte.
Eigentlich sollte der Band 18 der Mathematischen Nachrichten, der 1958 erschien, nur Schmids
50. Geburtstag gewidmet werden, nunmehr enthielt dieser Band auch Hasses Nachruf.
Des Weiteren soll der Nachruf von
Hermann Schmidt (1902-1993),
Hermann Ludwig Schmids Kollege in Würzburg, erwähnt werden, in welchem insbesondere Schmids
Wirken in Würzburg näher beleuchtet wurde.
Es existieren noch 94 Briefe, die Hasse und Herman Ludwig Schmid wechselten.1)
Wie
Wolfram Jehne und Erich Lamprecht festhielten
„Altogether, in cooperation with Erhard Schmidt and the other colleagues, Hasse and
H. L. Schmid, each in his very personal way, led mathematics in Berlin to a first revival“
[4, S. 149].
Referenzen
[1] | Heinrich Begehr (Hrsg.): Mathematik in Berlin – Geschichte und Dokumentation, 2 Halbbände, Shaker Verlag, Aachen, 1998, ISBN 3-8285-4225-8 und 3-8285-4226-6 | |
[2] | Helmut Hasse: Wissenschaftlicher Nachruf auf Hermann Ludwig Schmid, Mathematische Nachrichten 18 (1958), 1 - 18 | |
[3] | Wolfram Jehne: Schmid, Hermann, in: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), 147 - 148 | |
[4] | Wolfram Jehne und Erich Lamprecht: Helmut Hasse, Hermann Ludwig Schmid and their students in Berlin, in: Heinrich Begehr, Helmut Koch, Jürg Kramer und Norbert Schappacher (Hrsg.), Mathematics in Berlin, Birkhäuser Verlag, Basel 1998, 143 - 149 | |
[5] | Josef Naas und Hermann Ludwig Schmid (Hrsg.): Mathematisches Wörterbuch: mit Einbeziehung der Mathematischen Physik, im Auftr. des Instituts für Reine Mathematik an der Akademie der Wissenschaften zu Berlin bearb. u. hrsg. unter Mitw. zahlreicher Fachgelehrter, Akademie-Verlag, Berlin, 1961, 2 Bde., 3. Aufl. 1967 | |
[6] | Hermann Ludwig Schmid: Über das Reziprozitätsgesetz in relativ-zyklischen algebraischen Funktionenkörpern mit endlichem Konstantenkörper, Dissertation, Marburg, 1935, ferner in: Mathematische Zeitschrift 40 (1935), 94 - 109 | |
[7] | Hermann Ludwig Schmid: Zur Meromorphismentheorie der elliptischen Funktionenkörper, Mathematische Zeitschrift 47 (1941), 399 - 421 | |
[8] | Hermann Schmidt: Hermann Ludwig Schmid †, Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung 61 (1958), 7 - 11 | |
[9] | Hans-Joachim Vollrath: Würzburger Mathematiker: aus der Geschichte der Julius-Maximilians-Universität, Würzburg, 2010, 118 S. |
Bildnachweis
Porträt | aus dem privaten Archiv von Peter Roquette | |
Titelblatt des Mathematischen Wörterbuchs | Exemplar in Privatbesitz | |
Titelblatt der Dissertation | Kopie des Exemplars der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Sign: Ah 9014-1935,4 | |
Titelblatt und Widmung des 18. Bandes der Mathematischen Nachrichten | Kopie des Exemplar der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Sign: Zsn 447-18.1958 |
1) Niedersächsische
Staats- und Universitätsbibliothek (SUB) Göttingen, Cod.Ms.H.Hasse 1 : 1499
(Hermann Ludwig Schmid), 1937/1938, 1946-1955