Mathematiker des Monats Dezember 2014
Leopold Kronecker (1823-1891)
von
Iris Grötschel
Leopold Kronecker wurde am 7. Dezember 1823 in Liegnitz, Schlesien (heute Legnica, Polen) als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Sein Mathematik-Lehrer am städtischen Gymnasium war Ernst Eduard Kummer (1810-1893), der die herausragende mathematische Begabung seines vielseitig talentierten Schülers erkannte und förderte.
Mit 17 Jahren nahm Kronecker 1841 sein Mathematikstudium an der Berliner Universität auf. Er hörte Vorlesungen bei Johann Peter Gustav Lejeune Dirichlet (1805-1859), Carl Gustav Jacob Jacobi (1804-1851) und Jakob Steiner (1796-1863). 1843 ging er für ein Semester nach Bonn und anschließend für ein Jahr nach Breslau, wohin sein früherer Schullehrer Kummer inzwischen als Mathematik-Professor berufen worden war. Nachdem Kronecker 1844 an die Berliner Universität zurückgekehrt war, war es wiederum Dirichlet, der ihn nachhaltig prägte und bei dem er 1845 über ein Thema aus der algebraischen Zahlentheorie mit Auszeichnung promovierte.
Anschließend unterbrach Kronecker seine wissenschaftliche Laufbahn aus privaten Gründen. In dieser Zeit leitete er das landwirtschaftliche Gut seiner Familie in Schlesien und liquidierte das Bankgeschäft seines verstorbenen Onkels. Er erwies sich als tüchtiger Unternehmer, der das beträchtliche Familienvermögen nicht nur erhalten, sondern sogar vermehren konnte. 1848 heiratete er seine Cousine Fanny Prausnitzer. Aus dieser Ehe gingen sechs Kinder hervor. Außer um seinen eigenen Nachwuchs kümmerte sich Kronecker auch väterlich um seinen jüngeren Bruder Hugo, der später Physiologie-Professor in Bern wurde.
In jenen Jahren im ländlichen Schlesien konnte sich Kronecker nur nebenbei mit der Mathematik beschäftigen. Aus seinem regen Briefverkehr mit Kummer geht jedoch hervor, dass er durchaus Muße fand, mathematische Forschung zu betreiben. Seine erste Publikation aus dieser Zeit stammt aus dem Jahr 1853. Die Arbeit „Über die algebraisch auflösbaren Gleichungen“ machte ihn weltbekannt.
1855 kehrte Kronecker als vermögender Privatgelehrter nach Berlin zurück. Er suchte keine Stelle an der Universität, sondern einen inspirierenden Ort, an dem er gemeinsam mit anderen Mathematikern wissenschaftlich tätig sein konnte. In rascher Folge publizierte er nun eine große Zahl von Arbeiten. Innerhalb eines Jahres nach Kroneckers Rückkehr nach Berlin wurden Kummer sowie Karl Theodor Wilhelm Weierstraß (1815-1897) als Professoren an die Berliner Universität berufen. Man bezeichnet die sich anschließenden Jahrzehnte, die durch das Wirken der drei Gelehrten Kronecker, Kummer und Weierstraß geprägt waren, gerne als goldenes Zeitalter der Mathematik in Berlin.
1861 wurde Kronecker zum Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften ernannt. Damit erwarb er auch das Recht, Vorlesungen an der Universität zu halten. Er nutzte diese Möglichkeit gerne, vor allem um besonders begabte Studenten an seiner Forschung teilhaben zu lassen. 1868 erhielt Kronecker einen Ruf auf einen Lehrstuhl in Göttingen, den er jedoch zugunsten der attraktiveren wissenschaftlichen Situation in Berlin ablehnte. 1880 übernahm Kronecker die Redaktion der 1826 von August Leopold Crelle (1780-1855) in Berlin begründeten Fachzeitschrift „Journal für die reine und angewandte Mathematik“. Erst als Kummer 1883 emeritiert wurde, erhielt Kronecker im Alter von 60 Jahren einen Lehrstuhl in Berlin.
Kronecker lieferte hervorragende Forschungsergebnisse in der Algebra und Zahlentheorie sowie auf dem Gebiet der elliptischen Funktionen. Er beschäftigte sich auch mit philosophischen Grundgedanken zur Mathematik. Auf der Jahrestagung der Naturforscher 1886 in Berlin brachte er seine Ansichten mit dem berühmten Spruch „Die ganzen Zahlen hat der liebe Gott gemacht, alles andere ist Menschenwerk“ auf den Punkt. Diese Ideen, in allen mathematischen Theorien einen arithmetischen Ursprung einzubringen, führten zu Konflikten mit vielen Fachkollegen.
Kronecker wohnte mit seiner Familie in Berlin in einem großen Haus in der Bellevuestraße, wo er ein geselliges Leben pflegte. Seine Kinder ließ er zwar im christlichen Glauben erziehen, er selber konvertierte jedoch aus Gewissensgründen erst ein Jahr vor seinem Tod. Nachdem seine Frau im August 1891 bei einem Unfall ums Leben gekommen war, verstarb Kronecker am 29. Dezember desselben Jahres in Berlin. Er wurde auf dem evangelischen Alten St.-Matthäus-Friedhof in Schöneberg bestattet.
Referenzen
[1] | Moritz Cantor: Kronecker, Leopold, in: Allgemeine Deutsche Biographie 1906 (Onlinefassung) | |
[2] | Iris Grötschel: Das mathematische Berlin - Historische Spuren und aktuelle Szene, 2. Aufl., Berlin Story Verlag, Berlin, 2013, ISBN 978-3-86368-013-8 | |
[3] | Heinrich Weber: Leopold Kronecker, in: Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung Bd. 2, 1893 |
Bildnachweise
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Straßenschild | Iris Grötschel, Berlin | |
Grabstätte | Iris Grötschel, Berlin |