Mathematiker des Monats Mai 2020
Nikolaus von Béguelin (1714-1789)
von Karin Reich
 
Unter den berühmten Mathematikern, die in Berlin gewirkt haben, wird man Nikolaus von Béguelin zwar vergeblich suchen, aber in der Geschichte der Akademie der Wissenschaften in Berlin spielte er dennoch eine interessante Rolle.
Béguelin, in Courtelary bei Biel in der Schweiz geboren, hatte an der Universität Basel unter anderem bei Mitgliedern der Familie Bernoulli Mathematik, aber auch Rechtswissenschaften studiert; er wurde im Jahre 1735 zum Dr. jur. promoviert. Seine Karriere begann er als Preußischer Legationsrat in Dresden, wobei ihn bereits 1745 der preußische König Friedrich II. (1712-1786, reg. ab 1740) nach Berlin berief, wo er zum Professor der Mathematik am Joachimsthaler Gymnasium ernannt wurde. Ab 1747 nahm Béguelin das Amt des Erziehers des Thronfolgers wahr, des späteren Königs Friedrich Wilhelm II. (1744-1797, reg. ab 1786), der zeitlebens zu Béguelins Freunden und Unterstützern gehörte. Friedrich Wilhelm war der Neffe von Friedrich II. und der Sohn von August Wilhelm (1722-1758); dieser war das 11. Kind und der 5. Sohn von Friedrich Wilhelm I. (1688-1740, ab 1713 König in Preußen). Als Erzieher hatte Béguelin seinem Schützling auch Experimente vorgeführt, siehe zum Beispiel seine Publikation wie man Eier beim Lampenfeuer ausbrüten kann [14]. Ferner wurde Béguelin Mitdirektor des Französischen Gymnasiums und des französischen theologischen Seminars und am 2. November 1747 Mitglied der Berliner Akademie, beziehungsweise der „Académie Royale des Sciences et Belles-Lettres“, das war damals die offizielle Bezeichnung. Im Jahre 1748 wurde der Theologe, Historiker und Philosoph Jean Henri Samuel Formey (1711-1797) Beständiger Sekretär der Akademie, Béguelin und Formey verband eine lebenslange Freundschaft. Formey, in Berlin geboren, entstammte einer Hugenottenfamilie. Seit 1740 regierte Friedrich II. als König in Preußen, der ein großer Freund Frankreichs und von französischen Wissenschaftlern war. So war seit 1746 Pierre Louis Moreau de Maupertuis (1698-1759) Präsident der Akademie. Er nahm jedoch 1753 seinen Abschied, reiste nach Paris und kehrte 1756 nach Basel zurück, wo er auch starb; Grund dafür, dass Maupertuis Berlin verließ, war sein Streit mit Samuel König (1712-1757). Nur allzu gern hätte Friedrich II. Jean-Baptiste le Rond d’Alembert (1717-1783) als Nachfolger von Maupertuis berufen, er versuchte es mehrfach, doch d’Alembert lehnte stets ab. Von nun an blieb das Amt des Präsidenten unbesetzt, aber der damals hochberühmte Mathematiker Leonhard Euler, der seit 1741 an der Akademie wirkte, wurde 1753 Leiter der Mathematischen Klasse der Akademie und Leiter der Akademieverwaltung. Dieses Amt hatte Euler bis 1765 inne, 1766 folgte er einem Ruf an die Kaiserliche Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg. Béguelin kaufte Eulers berliner Haus in der Behrensstraße 21/22 [11, S. 47], war aber bereits 1764 bei Friedrich II. in Ungnade gefallen. Eulers Nachfolger wurde Joseph-Louis Lagrange (1736-1813), er war ab 1766 Leiter der Mathematischen Klasse. Friedrich II, der 1772 König von Preußen wurde, verstarb am 17. August 1786, sein Nachfolger wurde wie vorgesehen sein Neffe Friedrich Wilhelm II. Lagrange kehrte 1787 nach Paris zurück. So wurde Béguelin unter dem neuen König 1786 Direktor der Philosophischen Klasse der Berliner Akademie, ein Amt, das ihm Friedrich II. 1780 verweigert hatte (ebenda, S. 47f). Die Akademie wurde von 1786–1795 vom Kurator Ewald Friedrich Graf von Hertzberg (1725-1795) geleitet, es gab damals keinen Präsidenten.
Nikolaus von Béguelin
Schattenriss von Nikolaus von Béguelin
 
Dieses Porträt aus dem Jahre 1779 ist dem in Berlin ansässigen Drucker, Typographen und Holzschneider Johann Friedrich Gottlieb Unger (1753-1804) zu verdanken.
Béguelin, dessen Schriftenverzeichnis im „Sammelband“ 60 Nummern umfasst, wirkte auf den Gebieten der Philosophie, der Physik, der Meteorologie und der Mathematik; er verfasste aber auch nichtwissenschaftliche Schriften, so übersetzte er zum Beispiel Gedichte ins Französische [7] und schrieb selbst Gedichte [8]. Alle seine wissenschaftlichen Publikationen erschienen in den verschiedenen Schriftenreihen der Berliner Akademie, so in der Zeitschrift „Histoire de l’Académie Royale des Sciences et des Belles-Lettres de Berlin“ (bis 1769), in den „Nouveaux Mémoires de l’Académie Royale des Sciences et Belles-Lettres“ (bis 1786) und schließlich in den „Mémoires de l’Académie Royale des Sciences et Belles-Lettres“ [13, S 14-16].

Der „Sammelband“ in der Bibliothek der Akademie

Diesen Sammelband gibt es einzig und allein in der Bibliothek der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, er ist ein Rarum und hat die Signatur Be 27300. Er enthält alle Arbeiten Béguelins, die in den „Nouveaux Mémoires“ und in den „Mémoires“ erschienen sind, es handelt sich um 37 Beiträge aus den Jahren von 1770 bis 1788/89. Dieser Band wurde von Seiten der Akademie zusammengetragen und gebunden, leider kann man heute nicht mehr sagen, wann dies geschah. Béguelin ist nicht der einzige Wissenschaftler, den die Akademie sozusagen mit einer derartigen Buchausgabe nachträglich ehrte. Der Band, der kein Titelblatt besitzt, sondern gleich mit dem 61 Nummern umfassenden Schriftenverzeichnis von Béguelin beginnt, enthält nicht dessen frühe Beiträge – es sind 23 – aus den Jahren 1755 bis 1769, die in den „Histoire de l’Académie Royale des Sciences et des Belles-Lettres de Berlin“ veröffentlicht wurden. Es folgen die 37 Sonderdrucke der Beiträge Nr. 24 bis 60. Die Nr. 61 ist der „Éloge de M. de Beguelin“, den Formey am 1. Oktober 1789 in der Akademie verlas und in den „Mémoires“ veröffentlicht wurde [11].
Buchruecken
Sammelband Béguelin, Buchrücken mit Signatur
 

Béguelins Beiträge zur Mathematik

Zu Zeiten von Béguelin wirkten neben Euler und Lagrange auch die Mathematiker Johann III Bernoulli (1744-1807), seit 1764 Mitglied der Akademie, und Johann Heinrich Lambert (1728-1777) seit 1765 Mitglied der Akademie.
Für Béguelin war Leonhard Euler von besonderer Bedeutung. Béguelins mathematische Beiträge, es sind insgesamt 5, betrafen alle die Zahlentheorie, er zitierte vor allem Euler. Béguelin beschäftigte sich mit dem Prinzip vom zureichenden Grund (siehe [1]), mit Dreieckszahlen, Polygonalzahlen und Quadratzahlen (siehe [2] und [3]), mit Primzahlen (siehe [4]), mit Teilern der Zahlen von der Form 2n+1 (siehe [5]) und mit Teilern der Zahlen von der Form 4p+3 (siehe [6]).
Bemerkenswert ist, dass auch 4 Briefe bekannt sind, die Béguelin und Euler miteinander wechselten, nämlich
  • Béguelin an Euler vom 17. November 1755, geschrieben in Potsdam,
  • Béguelin an Euler vom 19. November 1755, geschrieben in Potsdam,
  • Béguelin an Euler vom 27. Juni 1767, geschrieben in Berlin sowie
  • Euler an Béguelin vom Mai 1778, geschrieben in St. Petersburg.
Diese Zusammenstellung wurde im „Commercium Epistolicum“ gegeben, wo auch Regesten aller 4 Briefe zu finden sind [10, S. 15].
Von besonderem Interesse ist der Brief Eulers vom Mai 1778, ist dieser doch die Antwort auf Bŕguelins Arbeit „Solution particulière du problème sur les nombres premiers“ (Béguelin [3]). Die Antwort Eulers wurde auch in den „Opera omnia“ Eulers veröffentlicht [9]. Aber nicht nur Euler setzte sich mit dieser Arbeit Béguelins auseinander, sondern auch Nikolaus Fuß (1755-1826), der damals Assistent von Euler in St. Petersburg war. Auch Fuß’ Brief vom 19./30. Juni 1778, ebenfalls geschrieben in St. Petersburg, wurde in Eulers „Opera omnia“ veröffentlicht [12].

Béguelins Beiträge zur Meteorologie und zum Erdmagnetismus

Unschätzbare Verdienste erwarb sich Béguelin, indem er ab 1768 regelmäßig meteorologische Beobachtungen durchführte, die er jährlich bis 1787 in den Berliner Akademieschriften veröffentlichte; die Beobachtungen erstrecken sich über den sehr langen Zeitraum von 20 Jahren! Es handelt sich um 19 Abhandlungen – die Daten von 1768 und 1769 erschienen in einer Abhandlung – mit dem Titel „Extrait des Observations météorologiques faites à Berlin en l’année xy“. Béguelin tat dies, wie er selbst mitteilte, im Auftrag der Akademie „par ordre de l’académie“.
Im Jahre 1780 wurde die Societas meteorologica Palatina, die Kurpfälzische Meteorologische Gesellschaft in Mannheim gegründet. Hier wurden die meteorologischen und die erdmagnetischen Daten von insgesamt 39 Stationen, die auf der nördlichen Halbkugel der Erde lagen, in der Zeitschrift „Ephemerides“ veröffentlicht. Berlin war Mitglied dieser „Societas“, Formey als „Consillarius Regis intimus“ verfasste das entsprechende Schreiben „Responsum Academiae Regiae scientiarum Berolinensis. Academiae Electorali Theodoro1) – Palatinae Academia Regia Scientiarum Berolinensis“2). Die Gesellschaft existierte bis 1792, der letzte Band der „Ephemerides“ erschien 1795.
Béguelin übernahm das Amt des Beobachters in Berlin, das heißt, bis zu seinem Lebensende schickte er regelmäßig seine meteorologischen und seine erdmagnetischen Beobachtungsdaten auch nach Mannheim, wo diese publiziert wurden.

Béguelins letzte Lebensjahre

Friedrich Wilhelm II., der Béguelin zum Direktor der Philosophischen Klasse der Berliner Akademie berufen hatte, erhob ihn in den Adelsstand und schenkte ihm das Gut „Terre Seigneuriale de Lichterfelde“ [11, S. 48; 15, S. 63f]. Im Jahre 1787 veröffentlichte Béguelin ein 36 Seiten umfassendes Gedicht, das der Schwester des Königs Friedrich Wilhelm II. gewidmet war: „Wilhelmine3) ou la révolution de la Hollande“ [8]. Noch kurz vor seinem Tode erhielt Béguelin Besuch vom preußischen König. Béguelin starb am 3. Februar 1789, er hinterließ seine Ehefrau Marie, geborene Pellouzier, drei Söhne und eine Tochter. Er wurde in der Dorfkirche von Lichterfelde in einer Familiengruft beigesetzt, in der auch seine Ehefrau und weitere Angehörige ruhen [15, S. 151f]. Es war Samuel Formey, der am 1. Oktober 1789 während der Mitgliederversammlung der Akademie das „Eulogium“ verlas.
Familienwappen
Familienwappen über dem Eingang der Dorfkirche von Lichterfelde
 

Das mathematische Werk von Béguelin

[1]   Application du Principe de la Raison suffisante à la demonstration d’un Théorème de M. Fermat sur les nombres polygonaux, qui n’a point encore été démontré, Nouveaux Mémoires de l’Académie Royale des Sciences et Belles-Lettres (1772) 1774, S. 387-413, lû à l’Académie le 3 Déc. 1772, im Sammelband Nr. 31
[2]   Recherches sur les nombres triangulaires, relativement au théoreme général de Mr. Fermat concernant les nombres polygonaux, Nouveaux Mémoires de l’Académie Royale des Sciences et Belles-Lettres (1773) 1775, S. 203-215, lû à l’académie le 8 Juillet 1773, im Sammelband Nr. 34
[3]   Démonstration du Théoreme de Bachet, ou Analyse des nombres en triangulaires et quarrés, Nouveaux Mémoires de l’Académie Royale des Sciences et Belles-Lettres (1774) 1776, S. 312-369, lû à l’académie le 10 Février 1774, im Sammelband Nr.37
[4]   Solution particulière du Problème sur les nombres premiers, Nouveaux Mémoires de l’Académie Royale des Sciences et Belles-Lettres (1775) 1777, S. 300-322, lu à l’Académie le 24 Mars 1774 [sic], im Sammelband Nr.40
[5]   Applications de l’Algorithme exponentiel à la recherche des facteurs des nombres de la forme 2n+1, Nouveaux Mémoires de l’Académie Royale des Sciences et Belles-Lettres (1777) 1779, S. 239-264, lu le 24 Avril 1777, im Sammelband Nr. 44
[6]   Nouvelle Méthode plus abrégée de trouver les diviseurs des nombres de la forme 4p+3 et les nombres premiers de cette forme, Nouveaux Mémoires de l’Académie Royale des Sciences et Belles-Lettres (1777) 1779, S. 265-310, lu à l’Académie le 23 Oct. 1777, im Sammelband Nr. 45
 

Referenzen

[7]   Nicolas de Béguelin: Le Printems: Poëme de Feu M. de Kleist, Übersetzung eines Gedichts von Ewald Christian von Kleist4) ins Französische, Berlin 1781, 64 S., mit einer Widmung „Au prince de Prusse“
[8]   Nicolas de Béguelin: Wilhelmine ou la révolution de la Hollande: Poëme en trois chants, Berlin 1787, 36 S.
[9]   Leonhard Euler: Extrait d’une lettre de M. Euler à M. Béguelin, en Mai 1778, Nouveaux Mémoires de l’Académie des Sciences et Belles-Lettres (1776) 1779, S. 337-339, ferner in: Leonhard Euler, Opera omnia, series I, Bd. 3, S. 418-420 (E 498)
[10]   Leonhard Euler: Opera omnia, series IV A, Bd. 1: Commercium Epistolicum, hrsg. von A. Juškevič, V. Smirnov, W. Habicht, Basel 1975
[11]   Johann Heinrich Samuel Formey: Éloge de M. de Beguelin, Mémoires de l’Académie Royale des Sciences et Belles-Lettres ( 1788/89) 1793, S. 39-50, lu dans l’Assemblé publique du 1. Oct. 1789, im Sammelband Nr. 61
[12]   Nikolaus Fuß: Extrait d’une lettre de M. Fuss à M. Béguelin, écrite de Pétersbourg le 19/30 juin 1778, Nouveaux Mémoires de l’Académie des Sciences et Belles-Lettres (1776) 1779, S. 340-346, ferner in: Leonhard Euler, Opera omnia, series I, Bd.3, S. 421-428 (E 708a)
[13]   Adolf Harnack (Hrsg.): Gesammtregister über die in den Schriften der Akademie von 1700-1899 erschienenen wissenschaftlichen Abhandlungen und Festreden, bearbeitet von Dr. Otto Köhnke, Berlin 1900 (= Geschichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin; 3)
[14]   Johann Georg Krünitz: Herrn Beguelins Abhandlung von der Kunst geöffnete Eyer beym Lampenfeuer auszubrüten, aus dem Französischen übersetzt und mit Anmerkungen erläutert, Hamburgisches Magazin, oder gesammelte Schriften aus der Naturforschung und den angenehmen Wissenschaften überhaupt Bd. 19 (1757), Hamburg und Leipzig, S. 118-156
[15]   Ulrich Muhs: Lichterfelde einst und jetzt. Ein Heimatbuch, Berlin 1919, 223 S.
 

Bildnachweis

Schattenriss   Quelle: Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Abteilung Sammlungen, Grafikporträtsammlung, Nr. 257, Nikolaus von Béguelin, hier wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung
Buchrücken   Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek – CC BY-SA 4.0, Rarum, Signatur Be 27300, Einband und Buchrücken, Schriftenverzeichnis (Nr.1-60), bzw. Inhaltsverzeichnis (Nr. 24-61)
Familienwappen   Wolfgang Volk, Berlin, März 2020

1) Die Kurpfälzische Akademie der Wissenschaften unterstand Karl Theodor (1724-1799), der ab 1742 als Karl IV. Pfalzgraf und Kurfürst von der Pfalz sowie Herzog von Jülich-Berg war und zusätzlich 1777 als Karl II. Kurfürst von Bayern wurde.
2) Schreiben in: Ephemerides Societatis meteorologicae Palatinae. Historia et Observationes anni 1781. Mannheim 1783, S. 25f.
3) Wilhelmine von Preußen (1751-1820), Schwester von Friedrich Wilhelm II., heiratete am 4. Oktober 1767 Prinz Wilhelm V. von Oranien (1748-1806), Statthalter der Niederlande.
4) Ewald Christian von Kleist (1715-1759)