Mathematiker des Monats September 2017
Emanuel Lasker (1868-1941)
von
Peter Ullrich
„Mathematik war meine Leidenschaft. Aber mit wenig Glücksgütern versehen,
konnte ich mich nicht dem Studium hingeben, wie ich es wünschte, und
ergriff meine Geschicklichkeit im Schach als Aushilfe. […] ward Weltmeister
in Amerika am 26. Mai 1894. Dann ging ich zu meiner ersten Liebe zurück,
veröffentlichte mathematische Forschungsarbeiten, ward Dr. phil. zu Erlangen
1900, auch ,assistant lecturer‘ auf der Universität Manchester. […]
Doch Mathematik war und ist von den Mächtigen der Erde wenig unterstützt.
Mein Einkommen zog ich nach wie vor aus dem Schachspiel durch Wettkämpfe,
Turniere und dem Verfassen von Büchern.“
Diese Beschreibung, wie er durch Schachspiel überleben musste, obwohl er eigentlich viel
lieber Mathematik betrieben hätte, gab Emanuel Lasker in einem Lebenslauf, der im
Heimatblatt des Kreises Soldin/Neumark veröffentlicht wurde.
Dass Lasker im Allgemeinen zumeist als Schachweltmeister bekannt ist, wird unter
anderem dadurch verständlich, dass er diesen Titel länger innehatte als bislang jede/r
sonst, nämlich durchgehend bis 1921, also über 27 Jahre. Andere kennen ihn vielleicht
eher als Schwager der Dichterin Else Lasker-Schüler (1869–1945).
Aber Emanuel Lasker hat als Mathematiker keinesfalls nur dilettiert und hat auch
mehr als seine Dissertation veröffentlicht, zum Beispiel den nach ihm und
Emmy Noether
(1882–1935) benannten
Zerlegungssatz.
Leben
Emanuel (laut Geburtsregister: Immanuel) Lasker wurde am 24. Dezember 1868 geboren und zwar
in Berlinchen in der Neumark (heute: Barlinek, Wojwodschaft Westpommern, Polen) als
jüngstes von vier Kindern des Ehepaares Adolph und Rosalie Lasker, geb. Israelssohn.
Das älteste seiner Geschwister war Jonathan Bert(h)old Barnett (1860–1928),
welcher von 1894 bis 1903 mit der Dichterin Else (Lasker-)Schüler verheiratet
war. Weiterhin hatten Berthold und Emanuel die Schwestern Theophilia und Amalia.
Ihr Vater war Kultusbeamter der jüdischen Gemeinde, was zwar nur ein geringes
Einkommen, aber dafür eine hohe Bildungsaffinität bedeutete. Im Alter von 11 Jahren
zog Emanuel zu seinem Bruder Berthold, der in Berlin bereits das Gymnasium
absolviert hatte und nun an der
Friedrich-Wilhelms-Universität
Medizin studierte.
Emanuel besuchte dort das
Sophien-Realgymnasium.
Vor allen Dingen aber brachte ihm
Berthold kurz nach seiner Ankunft in Berlin das Schachspielen bei, für das er sich so
begeisterte, dass seine Eltern ihn 1887 aus Sorge um seine schulischen Leistungen aus
Berlin zurückholten. So legte Emanuel seine Reifeprüfung am 9. März 1888 am Realgymnasium
in Landsberg an der Warthe (heute: Gorzów Wielkopolski, Polen) ab.
Danach kehrte er wieder nach Berlin zurück und immatrikulierte sich am 25. April 1888
an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Universität für ein Studium
der Mathematik. Während der nächsten fünf Semester hörte er dort Vorlesungen bei
Johannes Knoblauch, vor allen Dingen aber bei
Lazarus Fuchs (in den ersten beiden
Semestern: Funktionentheorie und Analytische Mechanik) und bei
Leopold Kronecker.
Am 27. Oktober 1890 exmatrikulierte er sich wieder, um nach Göttingen zu gehen, wo
er Veranstaltungen von Felix Klein,
Arthur Schönflies und
Hermann Amandus Schwarz besuchte.
In den Jahren 1891 bis 1897 war Lasker häufig auf Reisen, etwa nach England, Amerika
und Russland, wobei er seine Aktivitäten zwischen Schach und Mathematik aufteilte:
Einerseits kulminierte sein Schachspielen 1894 in dem in New York, Philadelphia und
Montreal ausgetragenen Wettkampf gegen
Wilhelm Steinitz (1836–1900),
den er mit 10 zu 5 Partien gewann, und so der zweite offizielle Schachweltmeister wurde. Er beschäftigte
sich schon zu dieser Zeit auch mit Schachtheorie; so erschien 1896 sein Buch
„Common Sense in Chess“. Andererseits war Lasker aber auch mathematisch aktiv: Im Jahr 1893
hielt er zwölf einführende Vorlesungen über lineare Differentialgleichungen an der Tulane
University in New Orleans. Vor allen Dingen aber veröffentlichte er mehrere mathematische
Arbeiten, die 1895 in Nature bzw. 1897 in den Proceedings of the London
Mathematical Society erschienen.
Im Jahr 1897 nahm Lasker wieder ein formales Mathematikstudium auf, zunächst
in Heidelberg bei
Leo Königsberger (1837–1921) und
Georg Landsberg (1865–1912) und
später dann zurück in Berlin erneut bei Lazarus Fuchs und bei
Kurt Hensel.
Ein Jahr später, 1898, reichte er bei der Pariser Académie des Sciences eine Arbeit als Lösung
einer gestellten Preisaufgabe ein. Diese erhielt zwar nicht den Preis, wurde aber von ihm
für seine Doktorabeit verwendet.
Am 29. Januar 1900 stellte Lasker, mit der Absenderangabe „gegenwärtig: Erlangen
Hotel Kaiserhof“, sein Promotionsgesuch an die Philosophische Fakultät der
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen und entrichtete seine Promotionsgebühr von 50 Mark.
Max Noether (1844–1921) als Gutachter arbeitete schnell,
und so wurde Lasker schon zwei Tage später mit der Gesamtnote
magna cum laude promoviert, wobei Mathematik
sein Hauptfach und Physik und englische Philologie seine Nebenfächer waren. Seine Dissertation
„Über Reihen auf der Convergenzgrenze“ wurde 1901 in den
Philosophical Transactions der Royal Society in London veröffentlicht.
Danach versuchte Lasker intensiv, eine Dauerposition für Mathematik an einer Universität
zu erhalten, hatte damit aber weder in Deutschland Erfolg noch in den Vereinigten
Staaten, wo er seit 1902 wieder lebte; auch seine Vorlesungstätigkeit in England am
Owen's College der Victoria University in Manchester 1901/02 war nur zeitlich befristet.
Er musste seinen Lebensunterhalt demgemäß durch Aktivitäten im Zusammenhang mit
dem Schachspielen verdienen, veröffentlichte im Jahr 1904 aber auch noch die Arbeit
„Zur Theorie der Moduln und Ideale“ in den
Mathematischen Annalen, welche den nach ihm benannten Zerlegungssatz enthält.
Von 1908 bis 1933 hatte Lasker seinen Hauptwohnsitz wieder in Berlin, nahm aber in
dieser Zeit an zahlreichen bedeutenden Schachturnieren teil, in denen er seinen Weltmeistertitel
verteidigte, bis er ihn 1921 an José Raúl Capablanca (1888–1942) verlor.
Während dieser Zeit beschäftigte sich Lasker daneben zum einen mit der Theorie des
Schachspiels und allgemeiner der von Spielen schlechthin. Zum anderen betätigte er sich
als Philosoph und politischer Denker, war aber auch beispielsweise mit
Albert Einstein (1879–1955) bekannt
(siehe z. B. diese Karikatur).
Im Jahr 1911 heiratete Lasker die frisch verwitwete Martha Cohn (1867–1942), geb.
Bamberger, die als Schriftstellerin unter dem Pseudonym „L. Marco“ veröffentlichte.
Die Ehe selbst blieb kinderlos, allerdings brachte Martha Cohn ihre Tochter Charlotte mit in die Ehe.
Unmittelbar nach der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten 1933 verließen
Lasker und seine Frau Deutschland, zunächst für ein Jahr in den Niederlanden, dann nach
London und ab 1935 nach Moskau. Die Einladung dorthin war zwar von der Akademie
der Wissenschaften ausgesprochen worden, und offiziell war Lasker auch am dortigen
Mathematischen Institut beschäftigt. De facto wirkte er jedoch als Schachlehrer und
Werbeträger für diesen Sport in der Sowjetunion.
Im Jahr 1937 erhielt das Ehepaar Lasker eine Einladung aus der Familie von Frau Lasker
nach New York, der es Folge leistete. Dort erkrankte Frau Lasker, so dass das Ehepaar
nicht in die Sowjetunion zurückreiste. Ob dies wirklich der einzige Grund für den Verbleib
in den Vereinigten Staaten war oder ob Emanuel Lasker nicht doch eher erkannt hatte,
was die stalinistischen Säuberungen bedeuteten, bleibt offen. Dieser Aufenthalt in den
Vereinigten Staaten stand allerdings finanziell unter ungünstigen Vorzeichen, auch wenn
Lasker Ende 1937 Vorlesungen an der Columbia University hielt. Ende 1940 erkrankte
Lasker schwer und starb am 11. Januar 1941 im New Yorker Mount Sinai Hospital an einer
Harnvergiftung. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof Beth Olom im New Yorker
Stadtteil Queens.
Mathematisches Werk
(Zu Laskers Beiträgen zur Theorie des Schachs, der Spiele schlechthin sowie zu Philosophie
und Politik vergleiche man die unten angegebene Literatur.)
Obwohl Lasker an bedeutenden Zentren der Mathematik in Deutschland studiert hatte,
fällt bei seinen Arbeiten eine Unabhängigkeit von herrschenden Schulen auf, eine Eigenschaft,
die für einen Schachspieler von großem Vorteil war, aber möglicherweise seine
Etablierung im akademischen System verhinderte. Seine ersten beiden, 1895 erschienenen,
mathematischen Arbeiten sind relativ kurz und befassen sich mit recht elementaren Fragen
der analytischen Geometrie, wobei er jeweils Räume beliebiger endlicher Dimension
zu Grunde legt. Seine dritte Veröffentlichung ist eine über 70 Seiten lange Ausarbeitung
zur Ausdehnungslehre
Hermann Graßmanns (1809–1877).
Die Schrift „Über Reihen auf der Convergenzgrenze“ hatte Lasker ursprünglich für
die Pariser Akademie verfasst. Aufgrund ihrer ersten beiden Kapitel, die circa die Hälfte
des Textes ausmachen, wurde er in Erlangen promoviert. Sie befasst sich wiederum mit
einer mehrdimensionalen Situation: Es geht um das Konvergenzverhalten
von Potenzreihen von mehreren komplexen Veränderlichen in den Punkten des Randes
des Konvergenzbereichs. So bewies Lasker zum Beispiel eine entsprechende Verallgemeinerung
des Abelschen Lemmas.
In der „Charlottenburg, März 1904“ gezeichneten Arbeit
„Zur Theorie der Moduln und Ideale“ behandelt Lasker eine Thematik,
die dem Arbeitsgebiet von Max Noether, dem Gutachter für seine Dissertation,
nahe steht, auch wenn er diesem nicht etwa für Anregungen dankt,
sondern nur im historischen Überblick zu Beginn von Kapitel II
dessen Leistungen erwähnt, insbesondere dessen Fundamentaltheorem.
Lasker gibt insgesamt einen neuartigen, auf der Eliminationstheorie basierenden Zugang zur Theorie der
Ideale in und auch der Moduln über Polynomringen. Bemerkenswert dabei ist, dass er diese Theorie
in Kapitel III sogleich von der Situation von Polynomen auf die von konvergenten
Potenzreihen überträgt.
Der Hauptsatz der elementaren Zahlentheorie, dass sich jede ganze Zahl in eindeutiger
Weise als Produkt von Primzahlpotenzen schreiben lässt, übersetzt sich in dieser Situation
in den Satz über die Primärzerlegung von Idealen. Es war zwar Emmy Noether diejenige,
die erkannte, dass dieser Satz für beliebige Ringe mit aufsteigender Kettenbedingung
gilt, weshalb er heute
Zerlegungssatz
von Lasker-Noether heißt. Aber bemerkenswert ist trotzdem,
dass bereits Lasker sich in seiner ursprünglichen Arbeit keinesfalls auf die
Situation von Polynomringen beschränkte.
Abschließend sei bemerkt, dass Lasker mehrere Arbeiten in den
Sitzungsberichten der
Berliner Mathematischen Gesellschaft veröffentlichte, darunter 1929 eine
„Begründung des Satzes, daß es in Wirklichkeit Prozesse gibt,
die sich mit beliebig großer Geschwindigkeit fortpflanzen“ –
was jedoch das Verhältnis zwischen ihm und Einstein nicht nachhaltig trübte.
Ehrungen
Lasker wird seit deren Gründung am 6. Mai 2008 in der
Hall of Fame des deutschen Sports geehrt,
als bislang einziger Schachspieler.
Sein Erbe in Schach, allgemeiner Theorie des Spiels, Philosophie und Politk wird von der
Emanuel Lasker Gesellschaft gepflegt.
Weiterführende Literatur
[1] | Matthias Thesing: Zum mathematischen Werk von Emanuel Lasker, Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Sekundarstufe II/I, Münster, 1999 | |
[2] | Jacques Hannak: Emanuel Lasker: Biographie eines Schachweltmeisters, Siegfried Engelhardt Verlag, Berlin, 1952 | |
[3] | Elke-Vera Kotowski (Hrsg.): Emanuel Lasker: homo ludens, homo politicus, Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam, 2003 | |
[4] | Richard Forster, Stefan Hansen, Michael Negele (Hrsg. im Auftrag der Emanuel Lasker Gesellschaft Berlin): Emanuel Lasker: Denker, Weltenburger, Schachweltmeister, Exzelsior Verlag, Berlin, 2009 |
Bildnachweis
Porträt | Lizenziert unter Public domain, Quelle: File:Lasker.jpg |