Mathematiker des Monats Februar 2018
Leo Koenigsberger (1837-1921)
Der Mathematiker Leo Koenigsberger war ein begeisterter und begeisternder Hochschullehrer:
„Koenigsberger trug bei virtuoser Beherrschung des Stoffes rasch, klar, den Hörer mitreißend vor.
Sein frisches, selbstbewußtes Wesen, sowie seine Liebenswürdigkeit und Kulanz sicherten ihm die
Zuneigung der akademischen Jugend.“ Zitat aus [4].
Leo Koenigsberger wurde am 15. Oktober 1837 als erstes von 12 Kindern des bedeutenden
Tuchhändlers Jakob Koenigsberger und seiner jungen Frau Henriette in Posen geboren.
Leo war am Gymnasium ein desinteressierter und schlechter Schüler bis 1853
Lazarus Fuchs (1833-1902) für ein Jahr
sein Hauslehrer wurde. Diesem gelang es, sein Interesse zu wecken und ihn für
Mathematik zu begeistern. In diesem einem Jahr wandelte sich Koenigsberger vom schlechtesten
Schüler seiner Klasse zum zweitbesten.
Nach seinem Abitur 1857 folgte er dem bereits seit 1854 in Berlin studierenden
Lazarus Fuchs nach. Bis Ostern 1864 wohnten die beiden Freunde gemeinsam in Berlin.
Gleich im ersten Semester hörte Koenigsberger gemeinsam mit Fuchs
Karl Weierstraß’ (1815-1907) erste Vorlesung
über die „Theorie der elliptischen Funktionen“. Diesem Forschungsgebiet
blieb Koenigsberger sein Leben lang treu.
Fuchs führte ihn in das Berliner Mathematische Kränzchen ein, das als
Vorläufer der Berliner Mathematischen Gesellschaft betrachtet werden kann.
Die Mitglieder trafen sich wöchentlich zu Vortrag und Diskussion im Hause
Heinrich Bertrams (1826-1904).
Zu dieser Zeit gehörten neben Lazarus Fuchs noch die Mathematiker Emil Jochmann
(1833-1881), Oswald Hermes (1826-1909) und Leopold Natani (1819-1905) diesem Kreis an.
In Berlin verkehrte Koenigsberger außerdem mit den Mathematikern
Julius Weingarten (1836-1910),
Paul du Bois-Reymond (1831-1889) und
Meyer Hamburger (1838-1903).
Er durfte seinem Lehrer Karl Weierstraß nähertreten und blieb auch nach dem
Studium mit ihm in Verbindung. Politisch engagierte sich Koenigsberger in der
Deutschen Fortschrittspartei.
Im Mai 1860 schloss Koenigsberger mit der Promotion
(„De motu puncti versus duo fixa centra attracti“)
bei Weierstraß sein Studium ab und legte anschließend die Prüfung
„pro facultate docendi“ ab, die zum Gymnasialunterricht befähigte.
An die Prüfung schloss sich eine unbezahlte Probezeit an, die Koenigsberger am
mathematisch-pädagogischen Seminar des
Friedrichs-Wilhelms-Gymnasiums,
ableistete. Dieses Seminar wurde 1855 von
Karl Schellbach (1804-1892)
gegründet und bis 1880 von ihm geleitet.
Durch die Fürsprache Schellbachs erhielt Koenigsberger eine Anstellung als Mathematik-
und Physiklehrer der Berliner Kadettenanstalt, die in der Littenstr. 13-17
(damals: Neue Friedrichstraße) untergebracht war. An der Kadettenschule wirkte Koenigsberger
von Ostern 1861 bis Ostern 1864. Der Unterricht machte Koenigsberger viel Freude, obwohl er sich in
den physikalischen Experimentalunterricht erst einarbeiten musste.
Ende 1863 wurde für die Universität Greifswald eine etatmäßige
außerordentliche Mathematikprofessur neu eingerichtet, die Koenigsberger aufgrund der
Empfehlung von Weierstraß erhielt. In Greifswald, in dem zahlreiche junge Dozenten wirkten,
blieb Koenigsberger bis 1869. Hier schloss er Freundschaft mit dem Juristen
Ernst Immananuel Bekker (1827-1916),
den er später in Heidelberg wieder traf.
1868 hatte Koenigsberger die Monographie „Die Transformation, die Multiplication und die
Modulargleichungen der elliptischen Funktionen“ publiziert. Diese fiel dem Königsberger
Mathematiker
Friedrich Julius Richelot
(1808-1875) auf, der daraufhin seinem Schwiegersohn
Gustav Robert Kirchhoff (1824-1887)
Koenigsberger als Nachfolger
Otto Hesses (1811-1874) in Heidelberg
vorschlug.
In den Jahren 1869 bis 1875, in denen Koenigsberger in Heidelberg wirkte, betreute er die
stattliche Zahl von 12 Doktoranden; unter ihnen war auch
Alfred Pringsheim (1850-1941),
der den meisten eher als Schwiegervater Thomas Manns bekannt ist. Sein Vorgänger, Otto Hesse,
betreute in 12 Jahren ebensoviele; dessen Vorgänger
Franz Ferdinand Schweins
(1780-1856) dagegen brachte es in 30 Jahren gerade auf sechs Doktoranden. Zu Koenigsbergers Schülern
dieser Zeit gehörten auch
Ludwig Boltzmann (1844-1906), der zu
postgradualen Studien in Heidelberg weilte, und die russische Mathematikerin
Sofja Kowalewskaja (1850-1891).
1873 heiratete Koenigsberger Sophie Kappel (1848-1938), und 1874 wurde sein Sohn, der spätere
Freiburger Physikprofessor Johann Koenigsberger geboren.
1874 publizierte er den 1. Band seiner „Vorlesungen über die Theorie der elliptischen
Funtionen“. Unmittelbar darauf folgte die Berufung auf das Polytechnikum in Dresden,
das zu einer Technischen Hochschule ausgebaut werden sollte. Koenigsberger interessierte die
neue Aufgabe und auch die bessere Besoldung. Dazu kam eine gewisse Verärgerung, weil das
badische Ministerium kein Bleibeangebot unterbreitete. Ostern 1875 verlassen Koenigsberger und
Kirchhoff, der nach Berlin wechselt, Heidelberg; Nachfolger Koenigsbergers in Heidelberg wird
Lazarus Fuchs.
In Dresden wurde im Jahr 1876 Koenigsbergers Tochter Ani (gestorben um 1960) geboren.
1877 gründete er gemeinsam mit dem Ingenieur
Gustav Zeuner (1828-1907) die
Referatezeitschrift
Repertorium der literarischen
Arbeiten aus dem Gebiete der reinen und angewandten Mathematik, die aber nur bis 1879 bestehen
wird.
1877 erhielt er überraschend einen Ruf der renommierten großen Universität Wien,
dem er Folge leistete. 1879 in Wien publizierte er seine erste mathematikgeschichtliche Arbeit
„Zur Geschichte der elliptischen Transcendenten in den Jahren 1826-29“.
1884 kehrte Koenigsberger nach Heidelberg zurück, obwohl Wien eine höhere Besoldung
als Heidelberg anbot. In seiner zweiten Heidelberger Periode betreute Koenigsberger weitere 30
Doktoranden. Bemerkenswerte Ereignisse der Folgejahre waren das Jubiläum 500 Jahre
Heidelberger Universität im Jahr 1886, die Abtrennung der Naturwissenschaften von der
Philosophischen Fakultät 1890, die Koenigsberger vorangetrieben hatte, sein Rektorat 1895,
der III. Internationale Mathematiker-Kongress im Jahr 1904 und die Gründung der Heidelberger
Akademie 1909, an der Koenigsberger maßgeblich beteiligt war.
Ab 1900 verstärkte Koenigsberger seine mathematikhistorische Arbeit.
Er publizierte 1902/1903 seine dreibändige
Helmholtzbiographie;
1904 zum Mathematikerkongress in Heidelberg folgte seine
Jacobi-Biographie.
Den Abschluss bildete 1919 seine Autobiographie „Mein Leben“.
Daneben publizierte er eine Reihe kleinerer mathematikhistorischer Abhandlungen.
Für die Heidelberger Akademie der Wissenschaften verfasste Koenigsberger 26 Abhandlungen –
die letzte 14 Tage vor seinem Tod.
Am 15. Dezember 1921 starb Leo Koenigsberger und wurde auf dem Heidelberger Bergfriedhof begraben.
Die Badische Post schrieb in ihrem Nachruf am 19. Dezember 1921 über seine Lehrtätigkeit:
„Im jugendlichen Alter von 32 Jahren kam er 1869 als Nachfolger des berühmten Hesse
an die Ruperto-Carola und erwarb sich sofort durch seine seltene Lehrgabe die Verehrung einer
großen Schar von Schülern, von denen mancher sich einen großen Namen in der
Wissenschaft gemacht hat. Mit unübertrefflicher Klarheit gelang es ihm in stürmischen
Eifer eine unglaubliche Fülle Lehrstoff in einer Stunde zu bewältigen und seine
Zuhörer durch die Lebendigkeit des Vortrags mitzureißen.“
Referenzen
[1] | Karl Bopp: Leo Koenigsberger als Historiker der mathematischen Wissenschaften, Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung 33 (1925), S. 104 - 112 | ||
[2] | Günther Kern: Die Entwicklung des Faches Mathematik an der Universität Heidelberg 1835-1914, 1992 | ||
[3] | Leo Koenigsberger: Mein Leben, 1919, erweiterte digitale Ausgabe, 2015 | ||
[4] | Wilhelm Lorey: Das Studium der Mathematik an den deutschen Universitäten seit Anfang des 19. Jahrhunderts, Band 3 der Abhandlungen über den mathematischen Unterricht in Deutschland, veranlasst durch die internationale mathematische Unterrichtskommission / herausgegeben von F. Klein, 1916, S. 179 | ||
[5] | Alfred Pringsheim: Koenigsberger, in: Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften – 1921, S. 45 - 49 | ||
[6] | Historia Mathematica Heidelbergensis: Schriftenverzeichnis Leo Koenigsberger, zusammengestellt von Gabriele Dörflinger, 2015 |
Bildnachweis
Porträt | Quelle: Album des Lehrkörpers der Ruperto Carola zu Heidelberg
im Jahre 500 ihres Bestehens (1886), S. 16. (Ausschnitt) Universitätsbibliothek Heidelberg gemäß den Bedingungen der Creative Commoms-Lizenz CC-BY-SA 3.0 DE |
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Mathematisches Kränzchen | entnommen aus den Sitzungsberichten der Berliner Mathematischen Gesellschaft
Jahrgang XIV, Vortitelblatt. Das Foto stammte aus dem Besitz des Berliner Oberlehrers Emil Haenztschel (1858-1948). |
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Grab | Wolfgang Volk, Berlin (siehe Grab von Leo Koenigsberger in Heidelberg) |