Mathematiker des Monats Juni 2015
Ernst Eduard Kummer (1810-1893)
Ernst Eduard Kummer gehört wie
Weierstraß zu den überragenden Berliner Mathematikern,
die ihre Laufbahn als Gymnasiallehrer begonnen haben. Er wurde als jüngerer von zwei
Söhnen seines Vaters Carl Gotthelf Kummer, eines Arztes, und seiner Mutter
Friederike Sophie, geb. Rothe, am 29. Januar 1810 im damals niederlausitzischen Sorau
(heute
Żary
in Polen) an der Grenze zu Schlesien geboren. Bereits 1813 starb der Vater
an Typhus, so dass Kummer als Halbwaise in beengten Verhältnissen aufwuchs.
Die Mutter, die Kummer zeit seines Lebens verehrt und später in seinen Haushalt
aufgenommen hat, ermöglichte dennoch ihren Söhnen den Besuch des Gymnasiums und ein
Studium.
1828 verließ er das Gymnasium in seiner Heimatstadt und begann an der Universität Halle
auf Wunsch seiner Mutter wie sein Bruder Karl Theologie zu studieren.
Schon bald wandte er sich unter dem Einfluss des Mathematikers
Heinrich Ferdinand Scherk
der Mathematik zu, blieb aber ein Leben lang auch an der Philosophie interessiert.
Bereits 1831 wurde er auf Grund seiner Lösung einer von Scherk gestellten Preisaufgabe
promoviert, legte das Staatsexamen ab, unterrichtete ein Probejahr am Sorauer Gymnasium,
bevor er von 1832 bis 1842 in Liegnitz (heute Legnica in Polen) Gymnasiallehrer wurde.
Trotz der hohen Unterrichtsbelastung – Kummer war sein Leben lang ein überaus
erfolgreicher Schul- und Universitätslehrer – trat er mit glänzenden Arbeiten
vor allem zur Funktionentheorie hervor, die ihm 1839 die korrespondierende Mitgliedschaft
an der
Berliner Akademie der Wissenschaften
einbrachte. Genannt sei seine grundlegende
Arbeit über die hypergeometrische Reihe, die er im Anschluss an
Gauß, sein großes Vorbild,
verfasst hat. In Liegnitz unterrichtete er insbesondere
Leopold Kronecker,
mit dem ihn später, nicht zuletzt in Berlin, eine lebenslange Freundschaft verband.
In die Liegnitzer Zeit fällt auch seine erste Ehe. 1840 heiratete er Ottilie Mendelssohn,
eine Cousine von Dirichlets Frau. Als seine Frau 1848 starb, heiratete er bald darauf
Bertha Cauer. Es wurde eine fünfundvierzig Jahre währende, glückliche Ehe.
Auf Empfehlung von Dirichlet, den er als
seinen eigentlichen Lehrer ansah, ohne von diesem je unterrichtet worden zu sein, und
Jacobi wurde er 1842 als alleiniger Vertreter seines
Fachgebietes an die Universität Breslau (heute Wrocław in Polen) berufen.
Er hatte früh Kontakt zu diesen beiden Mathematikern aufgenommen.
1855 schließlich wurde er Dirichlets Nachfolger in Berlin an der Universität,
an der Akademie und an der Kriegsschule. Er wurde Dekan (1857/58, 1865/66) und Rektor
(1868/69) der Universität, Sekretar der physikalisch-mathematischen Klasse (1863-1878).
Er war wesentlich für die Berufung von Weierstraß nach Berlin verantwortlich.
Im Alter zog er sich schrittweise von seinen ämtern zurück. 1874 beendete er den Unterricht
an der Kriegsschule, 1883 denjenigen an der Universität. Am 14. Mai 1893 starb er –
hoch verehrt – in Berlin.
Kummer hat keine Lehrbücher oder Monographien verfasst. Noch in Liegnitz, vor allem aber in
Breslau, wandte er sich der höheren Zahlentheorie zu. Wieder knüpfte er an
Gauß’sche Abhandlungen an, diesmal an die Untersuchungen biquadratischer Reste,
um das biquadratische Reziprozitätsgesetz und die allgemeinen Reziprozitätsgesetze der
Zahlentheorie zu beweisen. Seine Versuche, den großen Fermat’schen Satz zu beweisen,
führten ihn auf die Schöpfung der idealen Zahlen, die als seine bedeutendste geistige
Leistung gilt. Diese Arbeiten brachten ihm 1857 den großen mathematischen Preis der
Pariser Académie des Sciences ein.
Sein drittes bedeutendes Arbeitsgebiet wurde in Berlin die Geometrie, die von den
differentialgeometrischen Untersuchungen von Gauß und
Hamiltons Untersuchungen
über Strahlensysteme angeregt wurden, sowie Fragen der Ballistik und die Wirkung
des Luftwiderstandes.
Als Lehrer war Kummer höchst einflussreich. Er hat 30 Dissertationen in Berlin
betreut, darunter die von
Paul du Bois-Reymond,
Paul Gordan,
Hermann Amandus Schwarz
(seines Schwiegersohns),
Georg Cantor und
Arthur Schoenflies.
Hinzu kommen seine dreißig Gutachten, die er als Zweitgutachter angefertigt hat.
Die Berliner Mathematik erlebte unter dem Dreigestirn Kummer,
Weierstraß und Kronecker ihre unbestrittene Blütezeit.
Referenzen
[1] | Kurt-Reinhard Biermann: Ernst Eduard Kummer, Dictionary of Scientific Biography 7, 1973, S. 521 - 524 | |
[2] | Kurt Hensel: Gedächtnisrede auf Ernst Eduard Kummer, in: Festschrift zur Feier des 100. Geburtstages Eduard Kummers mit Briefen an seine Mutter und an Leopold Kronecker, hrsg. v. der Berliner Mathematischen Gesellschaft, Teubner, Leipzig - Berlin, 1910, S. 1 - 37 (mit Bildnis). | |
[3] | Emil Lampe: Nachruf auf Ernst Eduard Kummer, Jahresbericht der Deutschen Mathematiker-Vereinigung 3, 1894, S. 13 - 28 (mit Liste der Veröffentlichungen). | |
[4] | Fotoalbum zur Erinnerung an Herrn Professor Dr. J. G. Galle zur Feier seines 50 jährigen Amtsjubileums am 1. April 1884 als Zeichen der Zuneigung und Dankbarkeit dargebracht von seinen Freunden, Collegen, Schülern und Verehrern, Archiv der Universität Wrocław, Sign. S-G 1 |
Bildnachweis
Porträt | ist dem Muzeum Uniwersytetu Wrocławskiego (siehe auch [4, S. 25]) entnommen und mit freundlicher Genehmigung dieses Museums hier wiedergegeben. | |
Büsten | Wolfgang Volk, Berlin, 2009 |