Mathematiker des Monats Februar 2019
Adolf Hurwitz (1859-1919)
von
Peter Ullrich
Adolf Hurwitz wird zumeist als Schüler von
Felix Klein (1849–1925)
angesehen, worüber seine Beziehungen nach Berlin oft vergessen werden. Jedoch:
- Hurwitz studierte vier Semester lang an der Friedrich Wilhelms-Universität zu Berlin, drei vor und eines nach seiner Promotion, und damit länger als an jedem anderen Ort.
- Die Vorlesungen, die er bei Karl Weierstraß (1815–1897) in Berlin hörte, beeinflussten ihn so sehr, dass man seine Vorlesungsmitschrift in dem von ihm verfassten Teil der von Richard Courant (1888–1972) 1922 posthum veröffentlichten „Vorlesungen über allgemeine Funktionentheorie und elliptische Funktionen“ wiedererkennen kann.
- Mit Leopold Kronecker (1823–1891), Karl Weierstraß und Hermann Amandus Schwarz (1843–1921) setzten sich drei Berliner Mathematiker aktiv dafür ein, Hurwitz eine bezahlte Stelle an der Universität Königsberg zu verschaffen.
- Und in Königsberg gab Hurwitz seine in Berlin erworbenen mathematischen Kenntnisse an David Hilbert (1862–1943) und Hermann Minkowski (1864–1909) weiter.
Leben
Am 29.März 1859 wurde Adolf Hurwitz in Hildesheim (damals: Königreich Hannover)
als viertes Kind von Salomon (Eduard) Hurwitz (1813–1885) und Elise Werthheimer
(1822–1862) geboren. Seine älteren Geschwister waren Jenny (1854–1855), Max (Mosche)
(1855–1910) und Julius (Jakob) (1857–1919); die Familie war jüdischer Konfession.
Julius wurde später ebenfalls Mathematiker und arbeitete teilweise die in Königsberg und
Zürich gehaltenen Vorlesungen seines jüngeren Bruders aus. Adolfs Mutter starb an einer
Nierenkrankheit, als er erst drei Jahre alt war, wie auch Adolf selbst seit 1899 unter einem
schweren Nierenleiden litt. Sein Vater wird bisweilen als „Kaufmann“, bisweilen als
„Fabrikant“ bezeichnet, was aber nicht bedeutete, dass der Lebensunterhalt für Adolf
während seiner akademischen Ausbildung gesichert war; so unterstützte ihn während
seiner Zeit als Privatdozent in Göttingen ein entfernter Verwandter aus Amerika.
Im Alter von acht Jahren wurde Adolf Hurwitz in die Septima des Traditionsgymnasiums
Andreanum in Hildesheim aufgenommen.
Die Prima der Realschule I. Ordnung des Andreanums verließ er Ostern 1877 mit dem Zeugnis der
Reife. Aus dem Schultyp „Realschule I. Ordnung“ entwickelte sich mit der Zeit das
Gymnasium mathematisch-naturwissenschaftlicher Ausrichtung; zu Hurwitz' Zeiten jedoch berechtigte
sein Abgangszeugnis zwar zum Universitätsstudium, galt aber wegen der fehlenden altphilologischen
Kenntnisse als kein „klassisches“ Zeugnis der Reife (was er später noch zu
spüren bekam).
Dass Hurwitz den Realschul-Zweig des Andreanums besuchte und nicht den klassischen,
deutet darauf hin, dass sein Vater eigentlich an einen kaufmännischen Beruf für
ihn gedacht hatte. Sowohl zu dessen Glück als auch zu dem der Mathematik hatte dieser
aber ab der Tertia Unterricht bei Hermann C. H. Schubert (1848–1911). Dieser war nicht
nur ein fortschrittlicher, nicht-autoritärer Lehrer, sondern auch in der mathematischen
Forschung tätig;
von ihm stammt das Werk „Kalkül der abzählenden Geometrie“.
(Hierbei geht es darum, Punkte auf Kurven abzuzählen, die bestimmte Eigenschaften besitzen;
prototypisch ist der
Satz von Bézout,
dass die Anzahl der Schnittpunkte einer ebenen Kurve vom Grad r mit einer vom Grad
s – bei richtiger Zählung! – gleich r·s ist.)
Schubert erkannte das mathematische Talent von Hurwitz und gab ihm ab der Sekunda
Privatunterricht in synthetischer Geometrie, aber auch seinem eigenen Spezialgebiet, der
abzählenden Geometrie. Dies führte zum einen dazu, dass der siebzehnjährige Hurwitz
und Schubert im Jahre 1876 gemeinsam eine wissenschaftliche Arbeit „Über den
Chasles'schen Satz αμ + βν“ publizierten.
Zum anderen gelang es Schubert, den Vater von Hurwitz dazu zu bewegen, diesem das Mathematikstudium
zu erlauben.
Als Studienort empfahl Schubert München, da dort Felix Klein seit 1875
Ordinarius an der (ab 1877) Technischen Hochschule war, mit dem er in engem wissenschaftlichen
Austausch stand. Kaum hatte Hurwitz zu Ostern 1877 das Studium an der dortigen Universität
mit Gasthörerstatus an der Technischen Hochschule aufgenommen, stellte ihm Klein (siehe [5])
„die Aufgabe, die Resultate der abzählenden Geometrie auf zuverlässige
Grundlagen zu stellen.“
Man ist fast versucht zu vermuten, dass Hurwitz die Tragweite dieser Aufgabenstellung
erkannte und vor dieser nach Berlin floh: Hilbert stellte sie noch im Jahre 1900 in
Paris als das 15. seiner Probleme; eine solide Begründung des Schubertschen Kalküls gab
erst Bartel Leendert
van der Waerden (1903–1996) im Jahre 1929.
Wahrscheinlichere Gründe für den Wechsel nach Berlin gleich nach dem ersten Semester
in München könnten Hurwitz' Interesse an der Zahlentheorie von
Ernst Eduard Kummer (1810–1893) gewesen sein
(Klein hatte in München im Sommersemester 1877 gerade eine Vorlesung darüber gehalten)
oder an der Analysis von Weierstraß (dies hatte zumindest
Carl Runge (1856–1927) zum Wechsel
im gleichen Semester bewogen) oder – eher profan – eine Typhus-Epidemie, die 1877 München heimsuchte.
Welches nun auch der ausschlaggebende Grund gewesen sein mag: Hurwitz studierte jedenfalls vom
Wintersemester 1877/78 bis zum Wintersemester 1878/79 in Berlin, bei
Kronecker, Kummer und Weierstraß, unter anderem als aktives
Mitglied des Mathematischen Seminars. Beim letztgenannten hörte er im Sommersemester 1878 die
einleitende Vorlesung über analytische Funktionen und im Wintersemester 1878/79 die Vorlesung
über elliptische Funktionen. Spuren hiervon finden sich noch in dem von Hurwitz stammenden
Teil des 1922 (posthum) erschienenen Lehrbuchs „Vorlesungen über Allgemeine Funktionentheorie
und Elliptische Funktionen“, die sich passagenweise wie eine Paraphrase seiner Mitschrift aus
den Vorlesungen von Weierstraß liest.
Während Hurwitz in Berlin studierte, stand er allerdings in ständiger Korrespondenz
mit Klein, wobei es hauptsächlich um seine nächste Arbeit
„Über unendlich-vieldeutige geometrische Aufgaben, insbesondere über die
Schliessungsprobleme“ ging, die er als Alleinautor mit 19 Jahren in den von Klein
herausgegebenen
Mathematischen Annalen
veröffentlichte und die ebenfalls der abzählenden Geometrie zuzurechnen ist.
So ist es nicht überraschend, dass Hurwitz, als er Berlin verließ, wieder nach München
ging, wo er im Sommersemester 1879 und im Wintersemester 1879/80 vornehmlich Vorlesungen
bei Klein hörte; das Sommersemester 1880 musste er krankheitsbedingt aussetzen.
Im Herbst 1880 wurde Klein an die Universität Leipzig berufen, und Hurwitz folgte ihm nach.
Unter dem Einfluss des bei Weierstraß Gehörten hatte Hurwitz zwischenzeitlich seine
wissenschaftliche Ausrichtung von der abzählenden Geometrie fort- und zur Theorie der
elliptischen Funktionen hingewendet. So schrieb er seine Dissertation, mit der er 1881
in Leipzig promoviert wurde, über die „Grundlagen einer independenten Theorie der
elliptischen Modulfunktionen und Theorie der Multiplikator-Gleichungen erster Stufe“.
Der nächste Schritt auf der akademischen Karriereleiter war die Habilitation, aber hier
holte Hurwitz die Vergangenheit ein – er hatte nur ein Zeugnis der Reife von einer
„Realschule I. Ordnung“: Die Leipziger Fakultät hatte kurz zuvor für
Walther (später: von) Dyck
(1856–1934), einen weiteren Klein-Schüler, eine Ausnahme gemacht und auf
die „klassische“ Reifeprüfung mit altsprachlicher Bildung als Voraussetzung
für die Habilitation verzichtet. Bei Hurwitz und, wenig später,
Otto Hölder (1859–1937)
wollte man dies aber nicht nochmals tun, so dass die beiden zur Habilitation in das liberalere
Göttingen wechseln mussten. Hurwitz legte allerdings im Wintersemester 1881/82 noch einen
Studienaufenthalt in Berlin ein, bevor er sich Ostern 1882 in Göttingen unter der Ägide
von H. A. Schwarz habilitierte, der dort zu jener Zeit Ordinarius war.
Schwarz war dabei klar, dass Hurwitz nicht nur aufgrund seines Schulabschlusses,
sondern auch als „Israelit“, also aufgrund seiner Konfession, Schwierigkeiten bei einer
Habilitation bekommen konnte. Er unterstützte Hurwitz übrigens auch noch in den Jahren
1886–87, als dieser in einen Streit mit
Lazarus Fuchs (1833–1902) geriet,
der einen Satz veröffentlicht hatte, der in der von Fuchs behaupteten Allgemeinheit falsch war,
in der korrekten Version aber von Hurwitz stammte.
Die guten Beziehungen, die Hurwitz zu Berlin hatte, zahlten sich auch weiterhin aus:
Kronecker waren nicht nur seine mathematischen Leistungen, sondern auch seine prekäre
finanzielle Situation aufgefallen. Im Juni 1883 wies er Weierstraß hierauf hin, und dieser
wiederum setzte sich mit Schwarz in Göttingen in Verbindung. Zunächst organisierten
die beiden ein Privatdozenten-Stipendium für Hurwitz. Aber bald schon ergab sich eine
bessere Perspektive:
Nach dem Beweis der Transzendenz von π erhielt der Klein-Schüler
Carl Ferdinand (später: von)
Lindemann (1852–1939) den Ruf auf ein Ordinariat in Königsberg.
Zwar gelang es aufgrund formaler Probleme nicht sogleich im Wintersemester 1883/84, Hurwitz
als besoldeten Privatdozenten ebenfalls dort zu etablieren, aber nach einer gewissen Zeit
war die dortige Fakultät bereit, ein Extraordinariat für Mathematik zu beantragen,
bei dessen Besetzung, wie Weierstraß schon vorhergesagt hatte, auf Hurwitz
„Rücksicht genommen“ wurde: Bereits zu Ostern 1884 wurde Hurwitz zum
Extraordinarius in Königsberg ernannt.
Ähnlich, wie zuvor Schubert ihm Privatunterricht gegeben hatte, fand Hurwitz in
Königsberg zwei Studenten, denen er auf langen Spaziergängen die Denkweisen der
„sich so vortrefflich ergänzenden Schulen, der geometrischen Schule von Klein und
der algebraisch-analytischen Berliner Schule“ nahebringen konnte: David Hilbert und
Hermann Minkowski.
In seinem Nachruf auf Hurwitz schildert Hilbert in anschaulicher Weise diese besondere Art
der Unterrichtung, wobei trotz des geringen Altersunterschiedes von maximal fünf Jahren
die gesellschaftliche Distanz zwischen dem Extraordinarius und den beiden gerade frisch
beziehungsweise noch nicht einmal Promovierten gewahrt wurde.
In Königsberg fand Hurwitz auch seine Ehefrau, Ida Samuel (1864–1951), Tochter
eines Professors für Pathologie in Königsberg, Der im Juni 1892 geschlossenen Ehe
entsprangen drei Kinder: Lisbeth (1894–1983), Eva (1896–1942) und Otto Adolf
(1898–nach 1985).
Das Jahr 1892 brachte für Hurwitz aber auch in beruflicher Hinsicht Besonderes:
Durch den Tod Kroneckers am 29. Dezember 1891 und den Rücktritt von Weierstraß
von seiner Professur waren in Berlin zwei Ordinariate frei geworden, die durch
Georg Frobenius (1849–1917) beziehungsweise
H. A. Schwarz nachbesetzt wurden. Für beide hierdurch wiederum frei werdenden
Professuren, sei es an der Eidgenössischen polytechnischen Schule (seit 1911:
Eidgenössische Technische Hochschule [ETH]) in Zürich, sei es an der
Universität Göttingen, war Hurwitz als Nachbesetzung in der Diskussion.
Dabei muss man allerdings differenzieren: Teilweise wird in der Literatur behauptet,
Hurwitz habe auf beide Professuren Rufe erhalten. In Göttingen war es allerdings nur
der mittlerweile von Leipzig dorthin gewechselte Klein, der daran dachte, seinen Schüler
Hurwitz dorthin berufen zu lassen. Aufgrund der hervorragenden Beziehungen Kleins
zu dem im Preußischen Kultusministerium für Hochschulfragen zuständigen
Friedrich Althoff (1839–1908)
hätte das in der Regel für eine Ruferteilung reichen müssen, Klein
zeigte sich in diesem Fall aber extrem wankelmütig, so schrieb er Hurwitz in ein und
demselben Brief erst, dieser sei sein Wunschkandidat, um danach Gründe aufzulisten,
warum er doch nicht geeignet wäre: wissenschaftliche Nähe, Gesundheitszustand und
Konfession. Als Klein dann noch auf die Idee kam, Frobenius nach Göttingen holen zu
wollen, versagte ihm selbst Althoff seine Unterstützung, so dass nach Göttingen
Heinrich Weber (1842–1913) berufen wurde,
der Erstplatzierte der von der Fakultät erstellten Liste.
Berufungsverfahren an die Eidgenössische polytechnische Schule liefen dagegen deutlich
gradliniger ab: Um die durch den Weggang von Frobenius freigewordene Professur nachzubesetzen,
reiste der damalige Schulratspräsident
Hermann Bleuler
(1837–1912) persönlich nach Königsberg, setzte sich zunächst in eine
Vorlesung des Ordinarius Lindemann und verhandelte, da der erhaltene Eindruck zufriedenstellend war,
unmittelbar danach mit diesem darüber, ob dieser bereit sein könnte, nach Zürich zu
kommen. Diese Verhandlungen führten allerdings nicht zu einem Erfolg. Also setzte sich Bleuler
in eine Vorlesung des Extraordinarius Hurwitz und verhandelte danach auch mit diesem,
diesmal erfolgreich: Bereits im gleichen Jahr wechselte Hurwitz als Ordinarius an die
Eidgenössische polytechnische Schule, wo er bis zum Ende seines Lebens blieb.
Von 1896 bis 1902 war dort sein ehemaliger Königsberger Schüler Minkowski sein
Kollege. Als dieser nach Göttingen wechselte, übernahm Hurwitz dessen Stelle am
Mathematischen Seminar. Für seine Lehrtätigkeit hatte dies die Konsequenz,
dass er, der bis 1902 hauptsächlich Vorlesungen über Differentialrechnung
gehalten hatte, ab dann über die volle Breite der Teilgebiete der reinen /
theoretischen Mathmatik las: von Algebra und Zahlentheorie bis zur Theorie der
analytischen und der der elliptischen Funktionen.
Hurwitz hatte zeit seines Lebens Probleme mit seiner Gesundheit. Im Jahr 1899 erkrankte
er an einem schweren Nierenleiden, 1905 musste ihm eine Niere operativ entfernt werden.
Das Versagen der zweiten Niere führte dann letztlich am 18. November 1919 in Zürich
zu seinem Tod.
Werk
Bemerkenswert an der mathematischen Forschungstätigkeit von Hurwitz ist die Vielzahl
seiner Verbindungen zu verschiedenen mathematischen Schulen: Bereits zu seiner Schulzeit
war er durch Schubert in Berührung mit der abzählenden Geometrie gekommen,
was später dazu führte, dass acht von seinen insgesamt ziemlich genau 100
mathematischen Publikationen sich mit Themen aus der Geometrie beschäftigen.
Als Klein-Schüler war er natürlich mit dessem Werk und dessen Ansätzen vertraut,
aber ebenso hatte er in Berlin vieles bei Weierstraß zur Analysis und bei Kronecker und
Kummer zur Algebra und Zahlentheorie gelernt. Dieses konnte er in seinen Arbeiten miteinander
verknüpfen.
So begründete er in seiner 1881 eingereichten Dissertation „Grundlagen einer
independenten Theorie der elliptischen Modulfunktionen und Theorie der Multiplikator-Gleichungen
erster Stufe“ die Lehre von den (elliptischen) Modulformen, die zuvor nur ein
Anhängsel der Theorie der elliptischen Funktionen gewesen war, als eigenständige
Theorie. Dabei untersuchte er zum einen – ganz im Sinne von Kleins
„Erlanger Programm“ –
systematisch die Wirkung von Gruppenoperationen, speziell die der unimodularen Gruppe
und ihrer – insbesondere Kongruenz- – Untergruppen.
Zum anderen griff er auf bereits 1847 von
Gotthold Max Eisenstein (1823–1852)
eingeführte Funktionenreihen zurück, um die Modulfunktionen explizit darzustellen.
Direkt nach seiner Promotion und als Privatdozent in Göttingen beschäftigte sich
Hurwitz auch mit Fragen der analytischen Zahlentheorie, etwa 1882 mit
Dirichletschen L-Reihen mit quadratischem Charakter.
Bei einer weiteren, aus dem Jahre 1883 stammenden Arbeit kann der Titel als Inhaltsangabe dienen:
„Beweis des Satzes, dass eine einwertige Funktion beliebig vieler Variabeln,
welche überall als Quotient zweier Potenzreihen dargestellt werden kann, eine rationale Funktion
ihrer Argumente ist“. Dieses Ergebnis, das im Falle einer Variablen von Weierstraß stammt,
ist die erste ernsthafte Verwendung eines analytischen Lokal-Global-Prinzips:
Eine Funktion, welche sich lokal stets wie eine rationale verhält, ist in Wirklichkeit auch
global eine rationale Funktion.
In Königsberg erweiterte Hurwitz seine Forschungstätigkeit in der Zahlentheorie auf
quadratische Formen, wobei er auch Querverbindungen zu den Modulfunktionen herstellte.
Seine zahlentheoretischen Untersuchungen führten ihn 1891 auch zu der Feststellung,
dass man den
Goldenen Schnitt und die zu ihm
rational äquivalenten Zahlen als diejenigen reellen Zahlen charakterisieren kann,
die sich besonders schlecht durch rationale Zahlen annähern lassen.
Weiterhin verband er das Korrespondenzprinzip des ihm schon seit seiner Schulzeit vertrauten
Michel Chasles (1793–1880)
mit der Theorie der analytischen Funktionen zu Untersuchungen über analytische und algebraische
Korrespondenzen.
Um die Zeit seines Wechsels nach Zürich herum beschäftigte sich Hurwitz auch mit
Riemannschen Flächen
und deren bijektiven Selbstabbildungen topologischer und analytischer Art.
Ein wichtiges Mittel der Untersuchungen war, wie schon in seiner Dissertation,
die Wirkung von Gruppen derartiger Selbstabbildungen.
Insbesondere untersuchte er die Anzahl der bi-analytischen Selbstabbildungen
Riemannscher Flächen vom Geschlecht größer als 1.
In Zürich selbst wandte sich Hurwitz vermehrt Fragen der Algebra zu.
Richard Dedekind (1831–1916)
hatte ein
Ideal
abstrakt-axiomatisch definiert als nichtleere Teilmenge eine Rings,
die unter Addition und Multiplikation mit beliebigen Elementen des Rings abgeschlossen ist.
Hurwitz hingegen wählte 1894 den konstruktiven Weg und verstand unter einem Ideal
die Menge aller Linearkombinationen aus endlich vielen gegebenen Elementen mit beliebigen
Ringelementen als Skalaren. Noch 1916 in seinem Nachruf auf Dedekind bezeichnete
Edmund Landau (1877–1938) die Hurwitzsche Sichtweise
als die erfolgreichere. (In noetherschen Ringen sind die beiden Definitionen natürlich
äquivalent zueinander.)
Ebenso untersuchte Hurwitz Algebren über den reellen Zahlen. So bewies er 1898,
dass es eine multiplikative quadratische Normform nur in reellen Algebren der Dimension 1,
2, 4 und 8 gibt. Für den Spezialfall der Algebra der
Quaternionen entwickelte er eine
Zahlentheorie, die er 1919 durch eine Monographie abschloss.
Anwendungen in der Systemtheorie findet ein weiterer Beitrag von Hurwitz, in dem er 1895
diejenigen reellen Polynome charakterisierte, deren Nullstellen allesamt einen negativen
Realteil besitzen.
Ehrungen
Hurwitz war korrespondierendes Mitglied der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen,
auswärtiges Mitglied der
Academia dei Lincei
in Rom sowie Ehrenmitglied der mathematischen Gesellschaften von
Hamburg1),
Charkow2) und
London3).
Referenzen
[1] | Günther Frei: Adolf Hurwitz (1859–1919), Jahrbuch der Albertus-Universität zu Königsberg/Pr., Band XXIX (1994), Duncker & Humblot, Berlin, S. 527 - 541 | |
[2] | David Hilbert: Gedächtnisrede auf Adolf Hurwitz, Nachrichten von der k. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, 1920, S. 75 - 83; auch in Adolf Hurwitz: Mathematische Werke, Band 1, Birkhäuser, Basel, 1932 und 1962, S. XIII - XX | |
[3] | Ernst Meissner: Gedächtnisrede auf Adolf Hurwitz, Vierteljahresschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich, 64. Jahrgang (1919), S. 855 - 857; auch in Adolf Hurwitz: Mathematische Werke, Band 1. Birkhäuser, Basel, 1932 und 1962, S. XXI - XXIV | |
[4] | David E. Rowe: Felix Klein, Adolf Hurwitz and the “Jewish Question” in German Academia, The Mathematical Intelligencer 29.2 (2007), S. 18 - 30 | |
[5] | William Henry Young: Adolf Hurwitz, Proceedings of the London Mathematical Society 20 (1922), S. xlviii - liv |
Bildnachweis
Porträt | unbekannter Fotograf, die Aufnahme entstand um das Jahr 1900, das Bild ist gemeinfrei (public domain), Quelle: Online Bildarchiv der ETH Zürich, Suchfunktion: Portr 00853 | |
Bild mit A. Einstein und A. und L. Hurwitz | unbekannter Fotograf, die Aufnahme entstand im August 1913, das Bild ist gemeinfrei (public domain), Quelle: Online Bildarchiv der ETH Zürich, Suchfunktion: Portr 07389 |