Mathematischer Ort des Monats Juli 2025
Ausstellung anlässlich des 325. Geburtstags der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin-Mitte
von Wolfgang Volk
 
Banner der Akademie
Banner mit einer älteren Darstellung des Logos der BBAW
 
Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) feierte in den zwei Wochen vom 14. bis 28. Juni 2025 ihr 325-jähriges Bestehen mit der einleitenden Festsitzung zum Leibniztag1), einer Reihe von Vorträgen sowie zweier Ausstellungen und zum Abschluss mit Veranstaltungen im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaften in Berlin und Potsdam, die ihrerseits diesmal bereits zum 25. Mal veranstaltet wurde. Damit wird auf das Jahr 1700 als das Gründungsjahr der Akademie fokussiert, das Jahr, in dem auf Anregung von Gottfried Wilhelm Leibniz die Kurfürstlich-Brandenburgische Societät der Wissenschaften ins Leben gerufen wurde (siehe auch [4]). Jene Einrichtung wird als erste Vorgängerinstution der heutigen BBAW verstanden. In der langen Zeispanne seitdem haben etliche Umstrukturierungen stattgefunden, und es sind damit einhergehend auch vielfältige Umbenennungen erfolgt (siehe zum Beispiel [3]).
Während der überwiegende Teil der Veranstaltungen zum Jubiläum im Akademiegebäude am Gendarmenmarkt stattfanden, wurde im Akademieflügel2) eine der beiden erwähnten Ausstellungen, nämlich jene über „Die Berliner «académie française»“ im oben genannten Zeitraum gezeigt. Dabei sollte erwähnt werden, dass der Akademieflügel ein kleiner Teil des Gebäudekomplexes der Staatsbibliothek (mit der postalischen Adresse Unter den Linden 8) ausmacht, dem ursprünglichen Areal der Akademiegebäude [3]. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen der Veranstaltungen auch die Verwendung der französischen Sprache in der Wissenschaft (und bei Hofe sowieso) thematisiert wurde. Und so nimmt es nicht Wunder, dass die genannte Ausstellung im Foyer des Akademieflügels den Zeitraum der Jahre 1745-1786 beleuchtet, was im Wesentlichen mit der Zeit der Regentschaft von Friedrich II. (1712-1786, auch oft als „Alter Fritz“ bezeichnet), der ab 1740 König „in“ und ab 1772 König „von“ Preußen war, koinzidiert.
Beim Betreten des Ausstellungsraums fällt der Blick zunächst auf einen Banner (siehe das Bild ganz oben auf dieser Seite) über dem Mittelgang mit einer älteren Darstellung des Akademiesiegels, das den brandenburgischen Adler zeigt, der nach dem gleichnamigen (ohne „brandenburgischen“) Sternbild3) strebt.
Die Seiten des Mittelganges sind (ebenfalls) mit Stoffbahnen gestaltet, auf denen Preisfragen formuliert sind, welche die Akademie in den angegebenen Zeiträumen stellte und die hier vereinfacht wiedergegeben sind. Deren Beantwortung sollte „nützlich für das Land sein. Ziel war es, europaweit Antworten auf drängende wissenschaftliche Fragen zu erhalten.4)
Fragenkatalog
Fragen der Akademie in den Jahren 1745-1760
 
Spätestens jetzt stellt sich eigentlich die Frage, was diese (temporäre) Ausstellung denn mit Mathematik im weitesten Sinne zu tun hat. Wie weiter unten noch vermerkt wird, hat der preußische König Friedrich II. sehr wohl Einfluss darauf genommen, wer in die Akademie aufgenommen wird. Um die Bedeutung der Akademie zu erhöhen wurden in seiner Ägide vermehrt Wissenschaftler aus dem französischen Sprachraum in die Akademie aufgenommen – allen voran wäre da wohl Pierre-Louis Moreau de Maupertuis zu nennen (siehe auch [3]), der in den Jahren 1736-1737 die von der französischen Akademie der Wissenschaften initiierten Expedition nach Lappland leitete, deren Aufgabe es war, dort die Länge eines Meridianbogens zu bestimmen. Zeitgleich wurde eine weitere Expedition nach Südamerika entsandt, um auch in Äquatornähe die Länge eines Meridianbogens zu messen. Aus den Ergebnissen sollte sich ableiten lassen, ob der Erdglobus an den Polen abgeflacht (Newtons Vermutung) oder zugespitzt (Zitronengestalt, Cassinis Vermutung) gestaltet ist. (Die Ergebnisse bestätigten eine an den Polen abgeflachte Gestalt des Erdkörpers.) P.-L- M. de Maupertuis wurde 1746 vom König Friedrich II. zum Präsidenten der Akademie eingesetzt und hat eines seiner Instrumente, die bei der Expedition in Lappland zum Einsatz kamen, der Akademie geschenkt [2]. Jenes wird (aktuell) beim Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) aufbewahrt, ist aber hier als Exponat der Ausstellung zu sehen. Letzteres gilt auch für ein Buch über die „Figur der Erden“, das aus dem Französischen übersetzt und mit zusätzlichen Beiträgen ergänzt auf Geheiß des Königs in deutscher Sprache herausgegeben wurde.
Quadrant
Der Quadrant von P. J. M. de Maupertuis
Titelseite des Buchs 'Figur der Erden'
Titelseite des Buchs „Figur der Erden“
 
An den Wänden des Ausstellungsraums sind eine ganze Reihe von Kurzbiografien – überwiegend mit Porträts – zu namhaften Persönlichkeiten, die bis auf zwei Ausnahmen allesamt Mitglieder der Akademie waren, zu sehen und zu lesen. Auffallend viele von ihnen sind Mathematiker oder wirkten im mathematischen Umfeld.5) (Die Reihenfolge der Wiedergabe ist durch die Anordnung vor Ort motiviert.)
Portraets
Johann III Bernoulli (1744-1807)
 
Die Persönlichkeiten mit mathematischem Bezug sind nachstehend nochmals aufgeführt. Vielfach ergeben sich Beziehungen zu Örtlichkeiten im Stadtbild – sogenannte mathematische Orte – auf die hingewiesen wird6):
Wie aus dem weiter oben vorgestellten Fragenkatalog hervorgeht, ist die Ausstellung nicht nur mathematischen Aspekten gewidmet, auch wenn diese hier vorrangig betrachtet werden. Zur Abrundung werden nachstehend die Stofffahnen der Themen in grafischer Gestalt und die Begleittexte zu den Themenblöcken wiedergegeben. Eine sinnfällige Reihenfolge ergibt sich aus diesen Begleittexten.
Stadtplan
Neuer geometrischer Plan der gesammten Königlich=Preussischen und Churfürstlich=Brandenburgischen Haupt= und Residenzstadt Berlin
Vermessung
Frontispiz aus P.-L. M. de Maupertuis Werk „Discours sur la figure des astres“
 
Stadt
Als 1746 Friedrich II. die Berliner Akademie in „Académie Royale des Science et Belle-Lettres“ umbenannte, ging damit die Hinwendung zur französisch geprägten Wissenschaft und zur Aufklärungsphilosophie einher. Die Internationalisierung, gestützt durch einen französischen Akademiepräsidenten und zahlreiche Mitglieder aus Frankreich, der Schweiz, England und anderen Ländern, sollte die Reformprozesse Friedrichs im Preußischen Staat und seiner Hauptstadt unterstützen.
Doch in Berlin und Brandenburg wurden schon zuvor der königliche Hof und auch die Wissenschaften durch auswärtige Einflüsse geprägt. Hugenottische Theologen und Gelehrte gehörten im 18. Jahrhundert zur Wissenschafts- und Bildungselite Berlins. Als Akademiemitglieder waren sie für die Vernetzung in die Stadt und über sie hinaus bedeutend. Auch die seit den 1670er Jahren in Berlin ansässigen jüdischen Familien, obwohl unter restriktiven Bedingungen in der Stadt lebend, brachten im Verlauf des 18. Jahrhunderts wesentliche Impulse ein. Sie trugen zur Entwicklung einer philosophischen und wissenschaftlichen Kultur in Berlin bei, die auch Debatten innerhalb der Akademie beeinflusste.
Die zunehmende Vielfalt an Orten für philosophischen, literarischen und wissenschaftlichen Austausch war neben der Internationalisierung entscheidend für Berlins Entwicklung zu einem bedeutenden europäischen Wissensstandort. Zu diesen Orten gehörten die privaten Wohnungen der Gelehrten, freie Gesellschaften wie der Berliner Montagsklub und gegen Ende des 18. Jahrhunderts auch Salons, in denen nicht mehr nur Männer diskutierten.
Vermessungen
Die Beobachtung von Himmelskörpern und die Suche nach Prinzipien ihrer Bewegung war ebenso wie die Vermessung der Erde einer der Forschungsschwerpunkte der Akademie der Wissenschaften im 18. Jahrhundert.
Der erste Präsident der Akademie unter friedrich II., Pierre-Louis Moreau de Maupertuis, war durch Traktate zur Himmelsmechanik und zur Gestalt der Erde berühmt geworden. Dennoch konnte die Berliner Akademie und die in ihrem Gebäude eingerichtete Sternwarte in der friderizianischen Zeit nicht mit den Einrichtungen in Paris oder Greenwich konkurrieren. Für die Akademie der Wissenschaften waren ihre astronomischen Messungen dennoch von hohem Wert. Auf ihrer Grundlage entstanden Kalender, für deren Publikation die Akademie ein Monopol besaß – seit ihrer Gründung ihre wichtigste Einnahmequelle. Die astronomischen Kalendermessungen wurden im 18. Jahrhundert von der Familie Kirch durchgeführt, und zwar maßgeblich durch Maria Kirch und zwei ihrer Töchter. Diese bekamen von der Akademie zwar teilweise Gehaltszahlungen, durften aber keine Mitglieder werden.
Naturalia
Aus dem Katalog „Neues systematisches Conchylien-Cabinet“ von Friedrich Heinrich Wilhelm Martini
Weltansichten
Frontispiz aus P.-L. M. de Maupertuis Werk „Discours sur la figure des astres“
 
Naturalia
Die Beobachtung und Erforschung der belebten und unbelebten Natur war Mitte des 18. Jahrhunderts von den Versuchen einer systematischen Erfassung und Klassifizierung von Steinen, Mineralien, Tieren und Pflanzen geprägt.
Forschende versuchten weiterhin, mit Experimenten und Versuchsreihen oder durch eine philosophische Ergründung der Natur, Zusammenhänge zu entdecken. Im Vordergrund standen häufig die Entstehung, Entwicklung und Veränderung von Pflanzen und Tieren. Oft waren die Schlussfolgerungen noch am Prinzip göttlicher Schöpfung und Wirkung orientiert. Es entstanden in dieser zeit aber auch grundlegende Beiträge, auf die sich spätere Forschungen etwa zur Evolution oder Genetik beziehen konnten. Die Publikationen der Akademie aus dieser Zeit zeigen, dass ein Fokus auf der Nutzbarkeit von Tieren und Pflanzen durch den Menschen lag.
Die Naturalia-Sammlungen der Akademie der Wissenschaften wuchsen durch Schenkungen privater Sammler und durch die Überweisung von Objekten aus der königlichen Kunstkammer stark an. Sie waren im Turm der Sternwarte auf dem Gebäude der Akademie untergebracht. Der Arzt und Botaniker Johann Gottlieb Gleditsch, ab 1744 Akademiemitglied, war für sie zuständig, unter seiner Leitung entstand 1770 ein Gesamtkatalog der Sammlungen.
Mit der Neuorganisation der wissenschaftlichen Einrichtungen in Berlin Anfang des 19. Jahrhunderts wurden die Sammlungen der Akademie in neue spezialisiertere Institutionen überführt. Ihr Vermächtnis liegt heute im Museum für Naturkunde und dem Botanischen Garten Berlin.
Weltansichten
In der Zeit Friedrich II. waren die Grenzen zwischen Philosophie, Naturwissenschaft und Metaphysik fließend. Noch war es zum beispiel möglich, Daten zur Bevölkerungsstatistik systematisch zu sammeln und die aus ihnen abgeleiteten Schlussfolgerungen als Gottesbeweise zu werten. In der Akademie der Wissenschaften ebenso wie im höfischen Kontext fanden in dieser Zeit theologischeOrdnungsvorstellungen mit mechanistischen Weltbildern und radikalem Atheismus zusammen – unter der Aufsicht der politischen Macht.
Im Zentrum dieses intellektuellen Experiments stand der Monarch selbst: Friedrich II. war es, der die unterschiedlichen Denker an seinem Hof versammelte und in der Akademie organisieren ließ Mit Schriften wie seinem Anti-Machiavel inszenierte er sich selbst als aufgeklärter Herrscher, der Toleranz verpflichtet und der Integration polarisierender Auslegungen von Welt und Mensch. Akademie und Hof, miteinander verschränkt, waren so zeitweise ein Labor aufklärerischen Denkens, Forum verschiedener Weltansichten und von Kontroversen und Streit. Über die Ordnung von Gesellschaft und Welt wurde in unterschiedlichsten Richtungen reflektiert, die Grenzen der Umsetzung der Ideen bestimmte in der absoluten Monarchie jedoch letztlich eine Person: der König.
 

Referenzen

[1]   Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften: rendez-vous – Die Akademie lädt zum Geburtstagsfest, Flyer zu den Veranstaltungen zu „325 Jahre vormals Preußische Akademie der Wissenschaften“, 14. bis 28. Juni 2025
[2]   Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften: Pierre-Louis Moreau de Maupertuis, Kurzbiographie auf der Homepage der BBAW
[3]   Martin Grötschel: Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW) und die Mathematik, mathematischer Ort des Monats Oktober 2015
[4]   Wolfgang Volk: Terracotta-Fries am Roten Rathaus, mathematischer Ort des Monats Juni 2014
 

Bildnachweis

Alle Fotos   Wolfgang Volk, Berlin, Juni 2025
 

1) Diese findet alljährlich statt, bildete aber 2025 den Beginn der Feierlichkeiten zum Jubiläum.
2) Der Akademieflügel, oder besser die Gedenktafel für Albert Einstein neben dem Eingang zum Akademieflügel war mathematischer Ort des Monats Februar 2023.
3) Um jenes zu erkennen braucht es aber eine ordentliche Portion Phantasie.
4) Die beiden letzten Sätze sind dem „Kleingedruckten“ – dem Text im weißen Feld auf der Stofffahne zur Periode 1780-1786 – entnommen.
5) Durch ein- gegebenenfalls auch zweimaliges Anklicken der einzelnen Bilder kann eine vergrößerte Darstellung erreicht werden, so dass die Texte besser lesbar sind.
6) Zu den Personen, deren Name mit einem Verweis/Link hinterlegt ist, existiert auf der Homepage der Berliner Mathematischen Gesellschaft eine (Kurz-)Biografie, auf die verwiesen wird.